Mehr als der halbe Februar ist schon vorbei, und endlich weht ein lauer Wind wärmere Luft zu uns. Vor vier Wochen kletterte die Temperatur schon einmal über die Marke von 15°C, stürzte allerdings sofort wieder ab. Am Freitag durften wir uns hier im Ort über 17°C freuen. Bei allem Gejammer über das Wetter: Gitti und ich sind sehr dankbar für den kleinen Vorboten eines Frühlings, der offiziell erst in ein paar Wochen beginnen wird. Das tut der kleinen Seele gut, die nicht mehr frieren mag.
Ja, ich weiß, dass jetzt Winter ist. Ja, ich weiß, dass es im März und sogar im April durchaus noch einmal schneien könnte. Und ja, ich weiß, dass es für die Jahreszeit zu warm ist. Aber tief in mir drin gibt es ein Juchzen. Es drückt meine kleine, egoistische Freude aus, die ich angesichts der frühlingshaften Temperatur empfinde. Diese kleine Freude gönne ich mir. Das aktuelle Wetter ändert sich nicht, wenn ich mir diese Freude versage.
Wenn ich das künftige Wetter beeinflussen möchte, muss ich herausfinden, wie mein bescheidener Beitrag aussehen kann. Danach muss ich entscheiden, ob ich ihn leisten will. Vielleicht leiste ich sogar schon einen Teil davon. Und falls nicht, dann … Aber um dieses Thema dreht sich meine kleine Geschichte heute nicht.
Zurück also zu der Freude über ein bisschen Wärme und über das laue Lüftchen, welches sie zu Gitti und mir bringt. Bereitwillig öffnen wir unsere Herzen, ein paar Fenster und auch Türen.
Währenddessen kümmern sich andere Leute darum, uns Ausblicke zu geben. Diese Leute beschäftigen sich hauptberuflich mit dem Wetter. Unermüdlich präsentieren und erklären sie uns beispielsweise Isobarenkarten, die sie aus unglaublich vielen Messwerten erstellt haben. Sie zeigen uns Vorschaufilme für Wind, Wolken und Niederschläge.
Isobarenkarten sind echt spannend. Jede abgebildete Linie steht für einen Luftdruck. So eine Linie verbindet also die Messorte miteinander, an denen zu gleicher Zeit gerade der gleiche Druck gemessen wurde. Deshalb heißt sie Isobare. Entlang der benachbarten Linie herrscht ein anderer Luftdruck. Die Luft strebt den Orten zu, an denen der Druck nicht so hoch ist. Alles versucht, ins Gleichgewicht zu kommen. Das kann ich persönlich richtig gut nachvollziehen! Wer steht schon gerne ständig unter hohem Druck, wenn es auch gemütlicher und dennoch effektiv geht?
Sind die Isobaren dicht gedrängt, so gibt es auf kleinem Raum große Unterschiede im Luftdruck. Das erzeugt viel Wind. Herrscht in einer Region gerade ein gleichmäßiger Luftdruck, liegen diese Linien weit auseinander, und es weht, wenn überhaupt für uns spürbar, nur ein ganz laues Lüftchen. Bei einem Hoch ist der Druck im Zentrum höher als auf den Isobaren, die weiter außen liegen, und bei einem Tief ist der Druck im Zentrum am niedrigsten.
Bevor ich mich in weiteren Details verliere und detaillierter den Einfluss der Sonne, der Corioliskraft und damit der Erdrotation beschreibe, belasse ich es bei Hinweisen darauf, dass die Luft sich um die Zentren der Hoch- und Tiefdruckgebiete dreht und dass diese Zentren quasi ebenfalls über uns herüber- oder an uns vorbeiwandern.
Inzwischen weiß ich, dass sich Tiefdruckgebiete auf der Nordhalbkugel unserer Erde immer im Gegenuhrzeigersinn drehen, während Hochdruckgebiete sich im Uhrzeigersinn drehen. Um mir die Richtungen merken zu können, habe ich eine kleine Eselsbrücke gebaut: Wenn ich von Hand ein kleines t schreibe, dann folgt mein Strich am Ende einem kleinen Bogen, der nach rechts oben weist. Genau diesem Bogen folgt die Drehrichtung des Tiefs. Wenn ich ein kleines h schreibe, entsteht rechts ein Bogen nach unten. Und dieser Bogen weist mir die Richtung, in der das Hoch dreht.
Auf der Isobarenkarte kann ich jetzt also ablesen, woher der Wind kommt und ob er mir kräftig um die Ohren pfeift oder eher Flaute herrscht. Liegt beispielsweise links ein Tief und ein kleines Stück weiter rechts ein Hoch, dann weht der Wind von unten links nach oben rechts zwischen den beiden Gebieten hindurch. Wenn ich jetzt noch weiß, ob es da, wo der Wind herkommt, gerade wärmer ist als bei mir, dann kann sogar ich schon eine kleine Wetterprognose wagen.
Ich denke eine Weile darüber nach. Und dann braut sich in mir die kühne These zusammen, dass man soziale Strukturen vielleicht auch mit einer Art von Isobarenkarte veranschaulichen könnte.
Wie das?
Ich erinnere mich an einen früheren Kollegen. Der hat niemals auch nur eine einzige Gelegenheit ausgelassen, bei der er ausdrücklich auf seine gigantische Arbeitslast hinweisen konnte. Ungefragt ließ er jeden wissen, dass der ganze Laden ohne ihn zusammenbrechen würde. Und zwar, weil ohne ihn nichts, rein gar nichts, also wirklich überhaupt gar nichts mehr vorangehen würde. Das diente vordergründig seiner Selbstbeweihräucherung. Natürlich ging es für ihn aber auch um das Erregen größtmöglicher Aufmerksamkeit, die er sich vorzugsweise von der obersten Stelle der Unternehmensleitung erhoffte. Ergaben sich solche Gelegenheiten nicht häufig genug von selbst, musste er sich darum halt auch noch persönlich kümmern. Der Arme! Dann beschäftigte er sich ausgiebig damit, Druck zu verbreiten. Einfach so, und weil er wusste, wie das geht, auch ohne dass es dafür einen triftigen Grund gegeben hätte. Auf diese Weise entwickelte der Kollege sich selbst zum Zentrum eines mächtigen Hochdruckgebietes.
Alle anderen empfanden den künstlichen Wirbel als Last. Aber nun wehte schon einmal ein Wind, und so konnte man bald auch erkennen, wo sich allmählich das Zentrum eines Tiefs herausbildete. Es entstand ein Frontensystem, wie es ein der Meteorologie kundiger Mensch nicht schöner hätte illustrieren können. Wir Kollegen befanden uns unfreiwillig mittendrin. Natürlich suchten wir Wege, um unseren Job auf effektive Weise erledigen zu können. Wahrscheinlich hätte man die Wege, die wir fanden, auf einer Art Isobarenkarte ganz wunderbar nachzeichnen können.
Ich mag mir gar nicht ausmalen, was das im Laufe der Zeit insgesamt an Nerven und Geld gekostet hat!
Gerate ich heute einmal in einen von außen erzeugten Sturm der Entrüstung, dann versuche ich zuerst, etwas Abstand zu gewinnen. Vielleicht kann ich ja erkennen, woher der Wind weht und um was es eigentlich geht. Darin liegt bestimmt auch die Chance, mich nicht jedes Mal entlang der dicht beieinander verlaufenden Isobaren zwischen den Fronten durchquetschen zu müssen.