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Wunder in Natur und Technik

Ich komme nach Hause, das Telefon klingelt. Ich wette auf Gittis Mutter, seufze und nehme ab. Volltreffer. „Wo ist Gitti?“, schreit es aus dem Hörer. „Dir auch einen schönen Tag. Ich komme gerade nach Hause.“ Jetzt kommt der übliche Ablauf. „Keiner fragt mich, wie es mir geht“, beschwert sich Gittis Mutter. „Wie geht es Dir?“ „Ach, frag nicht!“ „Ich guck mal, wo Gitti ist.“

Im Arbeitszimmer werde ich fündig. Sie hebt den Kopf. „Mama?“ „Ja.“ „Gib her!“ Ich übergebe den Hörer, hole mir ein Glas Wasser und suche in der Küche nach Hinweisen, was wir heute essen werden und ob ich zur Vorbereitung noch etwas beitragen kann.

Gitti schaltet die Freisprecheinrichtung ein und gesellt sich zu mir. Ich höre also zu, wir schnibbeln Gemüse. Die Frau Mama fragt bei jedem Satz nochmal nach. „Was?“ Gitti wird erst zunehmend lauter, dann zunehmend ungehaltener. Es gipfelt in einem: „Schalt endlich Dein Hörgerät ein, das ist ja nicht auszuhalten!“ Die Antwort kommt prompt. „Nein, das ist mir zu laut.“

Wir seufzen und schütteln unsere Köpfe, Gitti öffnet den Mund, aber da setzt ihre Mutter bereits wieder an. „Du, wart mal, ich habe da eine Idee, ich versuche mal das andere Ohr.“ Wir hören ein umständliches Gekruschtel, der Hörer am anderen Ende der Leitung wandert geräuschvoll von links nach rechts – oder andersherum, das können wir ja nicht sehen. Wir warten also. Es kehrt Stille ein. Und dann schreit Gittis Mutter: „Ist‘s jetzt besser?“ Unsere Unterkiefer klappen synchron nach unten. Gitti fängt sich und sagt nüchtern: „Das musst Du doch wissen, wer hört denn hier schlecht?“ Ich flüchte prustend aus der Küche, bringe mein Lachen unter Kontrolle und kehre zurück.

„Wie war Dein Tag?“, frage ich, als Gitti mit dem Telefonat fertig ist. Sie erzählt. „Du glaubst es nicht. Heute habe ich gefragt, wie viele Sekunden eine Stunde hat.“ „Lösbar, oder?“ Ich ahne schon, dass es das nicht war, zumindest nicht für alle. „Der erste, den ich gefragt habe, hat 60 angeboten. Der zweite 100, und der dritte hatte gar keine Idee.“ „Und dann?“ Ich bin gespannt. „Dann habe ich den drangenommen, der immer Bescheid weiß. 3600, auf den ist Verlass. Daraufhin ist der erste aufgesprungen, hat die Augen weit aufgerissen, und gerufen: ‚Immer?‘ Und dann habe ich spontan reagiert.“ „Auwei, was hast Du ihm gesagt?“ „Naja“, sie guckt mich an und legt eine Kunstpause ein, „Ich verspreche Dir, bis zur Prüfung bleibt das erstmal so.“

Na prima. Gitti setzt Kartoffeln auf. „Morgen frage ich mal, warum Vögel eigentlich abends auf der Oberleitung nicht leuchten.“ „Ui, da bin ich schon gespannt auf die Vorschläge.“ Gitti grinst. „Es sollte mich wundern, wenn es diesmal anders läuft als sonst.“ Ich frage nach: „Was ist Deine Prognose?“ „Die meisten vermuten isolierte Füße.“

Wir essen gemütlich draußen. Langsam wird es dunkel. „Guck mal,“ sage ich zu Gitti, und recke den Finger in den dunklen Himmel, „siehst Du die kleinen Omegas, die da oben so schön nebeneinander leuchten?“ Sie fällt nicht drauf rein: „Da ist noch nicht mal eine Oberleitung. Wie sollen da Vögel leuchten?“ 

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