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Zerlegen und verstehen

Gitti liest mir aus der Zeitung vor. In dem Artikel geht es um Getreide und vor allem um die Bemühungen irgendwelcher Leute, Getreidearten zu züchten, die besser verträglich sind. Heutzutage wissen ja immer mehr Menschen, dass ihr Köper auf bestimmte Stoffe mit großem Protest reagiert. Und dann gehen sie auf eine lange Reise, die oft von Verzicht und der Suche nach Alternativen erzählt. Genau für diese Leute gibt es vielleicht Hoffnung.

Weizen zum Beispiel ist aus vielen Haushalten verbannt worden, weil er Gluten enthält. Gluten ist ein Eiweiß, also ein Protein. Proteine sind aus Ketten von Aminosäuren aufgebaut, und einige dieser Aminosäuren braucht unser Körper ganz dringend. Wir können nicht alle selbst herstellen, also müssen wir bestimmte Proteine mit der Nahrung aufnehmen und bei der Verdauung so zerlegen, dass wir an diese tollen Aminosäuren herankommen.

Gitti liest stolperfrei das Wort „Amylase-Trypsin-Inhibitoren“ vor. Es folgen andere Begriffe, die nicht minder verwirrend klingen. Scheinbar geht es mir zu gut, sonst würde ich mich auf diesem Gebiet ein bisschen auskennen. Ich nehme mit: Es ist ungeheuer kompliziert, aber auch beim Weizen könnte man Sorten züchten, in denen weniger von den Proteinen enthalten ist, die für diverse ungewollte Reaktionen verantwortlich zeichnen. Klassische Zucht, ohne Gen-Technik, aber mit tiefem Wissen über die Inhaltsstoffe.

Ich frage Gitti nochmal nach dem Wort mit der Amylase. „Amylase-Trypsin-Inhibitor“ kommt ihr leicht über die Lippen, und schon allein dafür erntet sie meinen Respekt. Dann beginnen wir, das Ding zu zerlegen. Hinten kommt „Inhibitor“ vor. Das muss also etwas sein, was als Hindernis wirkt und eine Reaktion zumindest hemmt. Vorne steht die „Amylase“. Gitti sagt, das hat was mit Stärke zu tun. Aha, dann geht es in unserem Verdauungs-Zusammenhang vielleicht um den Abbau von Stärke. Und Trypsin? Ratlos wenden wir uns ans Internet. Dort erfahren wir, dass das Zeug für die Zersetzung von Eiweiß zuständig ist.

Gitti ruft: „Ja klar, das endet ja auch auf ‚in‘, wie bei Protein, also Eiweiß!“

Gluten endet aber auf „en“. In mir regt sich deshalb sofort ein kleiner Widerstand. Wieder gehen wir auf die Suche. Wir erfahren, dass Gluten ein Gemisch aus Prolamin und Glutenin ist. Beides endet auf „in“. Wir suchen weitere Beispiele für Protein-Namen und geben uns bald zufrieden. Ein kleiner Zweifel bleibt, aber für erste Ideen taugt der Ansatz mit der Wortendung ganz gut.

Beim Lösen von Kreuzworträtseln ist mir schon aufgefallen, dass Salze oft auf „at“ enden. Es gibt auch welche, die auf „id“ enden. Dabei kommt es wohl darauf an, ob Sauerstoff beteiligt ist. Wenn ja, dann eben „at“. Das taugt für eine kleine Eselsbrücke: O? Ja mit a, also at!

Gitti sagt, dass es bei „ose“ in der Chemie häufig um Zucker geht. In der Medizin jedoch weist die „ose“ auf nicht-entzündliche Erkrankungen oder Zustandsänderungen hin. „Klar, bei einer Narkose ändert sich mein Zustand gewiss!“, werfe ich ein, ohne zu wissen, ob das hier passt.

Eine „itis“ weist auf Entzündungen hin, etwas mit „ol“ am Ende könnte Alkohol sein.

Vorne klappt unsere Hinweissuche durch Zerlegen der Wörter auch ganz gut. Aber nur, weil wir uns gegenseitig daran erinnern, dass „Gastro“ mehr mit dem Magen zu tun hat, als mit dem Lokal, in das ich einkehre, um meinen Magen mit leckeren Dingen zu füllen. Eine Gastritis gilt es dabei zu vermeiden, wer will sich schon eine Magenentzündung einhandeln?

Eigentlich verspüre ich jetzt große Lust, ein neues Wort zu finden. Ich könnte das Zerlegen ja auch umdrehen und etwas neu zusammensetzen. Aber was könnte das sein? Ich möchte mich dabei so gerne thematisch von der Biologie, der Chemie und der Medizin entfernen. Hin zu etwas mit ganz viel Gefühl und Ästhetik. Aber was ich auch versuche, es gibt bereits viel klangvollere Bezeichnungen in meinem Sprachgebrauch. Das muss man einfach mal so lassen, wie es ist!

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