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Zu verifizieren

Völlig ausgebremst sitze ich am Schreibtisch und starre gebannt auf den Monitor. Tut sich da noch etwas? Die Leere, in die ich da starre, scheint herzhaft zu gähnen. Es ist noch so viel zu tun, aber der Herr Rechner gönnt sich ein größeres Update. Dieses Update ein weiteres Mal zu verschieben, erschien mir vorhin sinnlos. Manchmal muss man sich in sein Schicksal fügen. Und jetzt gähnt also die Leere.

Ich übe mich in Geduld, sortiere im Kopf meine nächsten Arbeiten, trommle ein wenig mit den Fingern auf der Tischplatte herum und lasse mich von der gähnenden Leere anstecken, gähne also nun herzhaft selbst.

Vermutlich geht es gleich weiter. Hoffentlich geht es gleich weiter!

Der Herr Rechner nimmt die Kommunikation überraschend wieder auf. Mit weißer Schrift auf blauem Grund teilt er mir mit, dass dieser Vorgang, mit dem er da beschäftigt ist, einige Minuten dauern kann. Er bittet inständig darum, nicht einfach ausgeschaltet zu werden. Vor zwanzig Minuten hat er auf Englisch einen Hinweis darauf abgesetzt, 4% seines Vorhabens erledigt zu haben und im weiteren Verlauf möglicherweise mehrere Male in Folge neu zu starten. Da wollte er auch schon nicht ausgeschaltet werden. Ich seufze.

Meine Motivation sinkt mit jeder Minute, die ich zur Untätigkeit verdammt hier sitze. Natürlich könnte ich derweil andere Arbeiten erledigen – im Haushalt findet man immer etwas! Ich denke darüber nach, entscheide mich aber bald dagegen.

Einige Minuten später geschieht das kleine Wunder, auf das ich so sehnsüchtig gewartet habe. Mein Arbeitstag startet endlich durch. Zum Glück hat der Herr Rechner mit dem Update nicht alles verdreht und funktioniert wieder einwandfrei. Konzentriert geht es zur Sache, und es läuft gut.

Ein paar Stunden später verschluckt der Rechner sich leider ordentlich an einem größeren Arbeitsauftrag, den ich mit meinem letzten Klick angestoßen habe. Die Eieruhr dreht beständig ihre Runden auf dem Bildschirm. Hallo? Ist da noch jemand zu Hause?!?

Den angestoßenen Vorgang abzubrechen ist diesem Fall keine gute Lösung. Ich fühle mich ausgebremst. Schon wieder! Das hatten wir doch schon am frühen Morgen! Genervt gucke ich dabei zu, wie sich das Programm kommentarlos durch seine Programmschritte kämpft. Der einzige Hinweis darauf, dass es überhaupt noch läuft, besteht im Drehen der Eieruhr.

Es ist Freitag. Ich sehne das Wochenende herbei.

Ohne den Rechner komme ich nicht weiter, das ist der Preis für ein nahezu papierloses Büro. Das ist heute aber echt mühsam! Ich weiß mich zum Glück vorübergehend anders zu beschäftigen. Ein paar Dehnübungen später fällt mein Blick auf den kleinen Sprüchekalender, der auf meinem Schreibtisch steht. Ich blättere ein wenig darin herum. Zwischendurch kontrolliere ich ein paar Mal die Eieruhr, die sich immer noch dreht. Ich kämpfe den Gedanken nieder, bald selbst zu drehen, und zwar durch! Das Lesen der Sprüche hilft mir, durchzuhalten.

Dieser hier schafft es, mich endlich aufzumuntern:

Forscher haben herausgefunden, dass Menschen, die freitags früher Feierabend machen, mehr vom Wochenende haben.

Ich zeige dem Bildschirm den Spruch und nicke ihm vorwurfsvoll, vor allem aber auffordernd zu. Anschließend stelle ich den Sprüchekalender mit Nachdruck wieder an seinen Platz. Hoffentlich zeitigt es Wirkung. Und tatsächlich: Kaum steht der Kalender wieder da, wechselt auch schon die Maske auf dem Monitor. Das Programm verkündet stolz, seine ihm aufgetragene Arbeit abgeschlossen zu haben. Geht doch!

Man muss seinen Tag nicht zu oft herausfordern, oder?

Längst steht mein Entschluss, die These des Kalenderspruches sofort im Rahmen eines Selbstversuches zu verifizieren. Also bringe ich mein Tagewerk mit dem Fokus auf das Nötigste zu einem vertretbar guten Ende. Der Rest wird auf Montag verschoben. Mit dem letzten Arbeitsgang wird dem Herrn Rechner noch schnell die Schuld zugeschoben. Der kann sich jetzt ebenfalls darauf einstellen, mehr vom Wochenende zu haben. Möge er es dazu nutzen, sich ein Benehmen vorzunehmen, das sich meiner Arbeit als zuträglich erweist!

Der Selbstversuch startet auf unserem Balkon. Erfreut und etwas überrascht heißt Gitti mich dort willkommen. Sie hatte noch gar nicht mit mir gerechnet. Ich geselle mich zu ihr und berichte von dem Kalenderspruch. Es ist Anfang März. Die Sonne weiß uns jedoch durchaus schon zu wärmen, und so nehmen wir zunächst ein kleines Sonnenbad. Gitti hat uns bereits zu einem Brauhausbesuch verabredet. Anschließend suchen wir eine Kulturkneipe auf. Dort tanzen wir zu rockiger Livemusik und sinken später recht müde, aber glücklich ins Bett. Am Samstag und Sonntag geht es umtriebig weiter. Den Sonntagabend beschließen wir mit einem Restaurantbesuch. Danach sinken Gitti und ich wieder ins Bett, diesmal satt lächelnd. Das war mal ein prall gefülltes Wochenende!

Als ich am Montag wieder vor dem Sprüchekalender sitze, zwinkere ich ihm zu. Die These der Forscher ist verifiziert – auch wenn ich jetzt doch ein wenig müde bin.

Der Herr Rechner verhält sich den ganzen Tag über vorbildlich. Gut so!

Nach Feierabend tausche ich mich mit Gitti nochmal über das schöne Wochenende aus. Bei aller Freude über die so intensiv erlebte Zeit wollen wir in Zukunft nicht jedes Wochenende so mit Terminen vollstopfen. Wenn alles durchgetaktet ist, bleibt die Spontaneität auf der Strecke. Außerdem mögen wir es beide, unseren Erlebnissen noch einmal in Ruhe und ausführlich nachzuspüren, bevor alles vom nächsten Event überdeckt wird.

Und was würde ich also jetzt in den Sprüchekalender schreiben? Vielleicht dies:

Ganz normale Leute haben herausgefunden, dass Menschen, die ihr Leben als guten Mix aus Ruhe und Umtriebigkeit empfinden, sehr glücklich werden können.

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