Ich bin in einem Zustand, bekomme mitunter Zustände oder beklage sie, und der Wechsel zwischen verschiedenen Zuständen ist auch so eine Sache für sich.
Spätestens seit Newton wissen wir ja, dass Zustände sich nicht von allein verändern. Das von ihm formulierte Trägheitsprinzip besagt, dass ein Körper im Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung verharrt, sofern er nicht durch einwirkende Kräfte zur Änderung seines Zustandes gezwungen wird. Das gilt für Körper, unabhängig davon, wo sie sich befinden, und es gilt irgendwie auch übergreifender. Mir kommt es so vor, als ob dieses Prinzip auf fast alle Themen übertragbar ist und damit unabhängig von Materie wirkt. Ohne Grund, ohne Impuls ändert sich einfach nichts, egal wo.
Mein Traum vom Idealzustand wird schnell langweilig. Denn: Einmal eingestellt gäbe es ja nie wieder einen Grund zur Veränderung, oder? Doch! Vielleicht repräsentiert ja die Langeweile diesen Grund. Wenn Gitti also sagt, dass sie etwas nicht mehr sehen kann? Manches von dem ist einfach unansehnlich geworden oder wir haben es verschlissen. Oder es gibt schlicht etwas Besseres. Anderes nervt sie wahrscheinlich nur, weil es schon so lange in dem aktuellen Zustand verharrt und sie sich daran sattgesehen hat. Dann braucht sie Abwechslung, und ich bekomme Zustände.
In meiner Welt soll der Ersatz immer auch eine Verbesserung bergen, das bisherige Ideal deutlich toppen. Sonst ist es für mich extrem schwierig, mich zu lösen, mich der Veränderung zu öffnen, einen Grund zur Überwindung des Trägheitsprinzips zu finden oder zu akzeptieren. Und für Gitti ist es dann extrem schwierig, die Füße still zu halten, mich zu überzeugen und die ersehnte Abwechslung in gegenseitigem Einvernehmen zu gestalten. Natürlich strebt auch Gitti nach deutlicher Verbesserung. Wenn es mal nicht so gut läuft, sind allerdings unsere Ansichten, was eine Verbesserung darstellt, recht unterschiedlich. Dann müssen wir uns echt anstrengen, denn am Ende wollen wir uns schließlich beide wohlfühlen.
Wenn ich ausgerechnet an etwas hänge, was sie nicht mehr ansehen mag, ist der Korridor für einen guten Kompromiss recht eng. Manchmal schafft Gitti einfach Fakten, und ich muss im Anschluss zusehen, wie ich damit zurechtkomme. Na ja, und sie muss damit zurechtkommen, wenn ich mich erstmal nicht über ihre Fakten freuen kann, mitunter auch erst dann so richtig formulieren kann, was daran in meinen Augen nicht so toll ist. Erschwerend kommt hinzu, dass ich mehr Geduld aufbringe, wenn es um eine Entscheidung geht. Ich suche länger und lege die Anspruchslatte in Gittis Augen wahrscheinlich manchmal zu hoch auf. Am Ende finden wir fast immer einen Weg. Den Rest lösen die Fähigkeit zum Kompromiss, der gegenseitige Respekt und das Bestreben, aus der Toleranz die Akzeptanz wachsen zu lassen. Gewürzt mit dem Ergebnis aus einem ehrlichen Sich-in-den-anderen-Hineinfühlen. Was damit nicht gelingt, braucht vor allem – Zeit.
Liefe es in der Gesellschaft auch nur annähernd so harmonisch, wie bei uns zu Hause, dann lebten wir im Paradies! Tut es aber leider nicht. In der Gesellschaft, die uns umgibt, stellen sich nämlich Zustände ein, die mich empören. Vor allem empöre ich mich gerade über Leute, die ständig an allem herumnörgeln. Die bekommen oft ihr eigenes Leben nicht gerade optimal auf die Kette. Und sie kritisieren hemmungslos in einem fort alles und jeden, der nicht bei drei auf einem Baum ist. Kein gutes Haar wird an den anderen Menschen gelassen. Vor allem an Personen, mit denen sie nie tauschen wollen würden! Ihre Nörgelei steigert sich manchmal regelrecht bis zum Hass, den sie dann öffentlich auf Social Media oder zur Not auch direkt auf der Straße herauspöbeln. Mitunter verbrämen diese Menschen ihre Pöbelei als Kritik. Was soll das? Wozu ist das gut?
Mir stehen alle Haare zu Berge! Das ist ein Angriff auf meine Harmoniesucht, und dem werde ich zu begegnen wissen! Autsch, jetzt werde ich auch noch aggressiv. So geht das nicht!
Atmen hilft. Ruhig ein- und ausatmen, dann nochmal angucken, was da eigentlich passiert – und dann endlich sehe ich es: Da, ganz klein, aus der hinteren, unteren Ecke, da leuchtet es, das Fünkchen Hoffnung, Hand in Hand mit dem kleinen Schmunzeln, geboren aus der Komik, die allem innewohnt. Ein wohliges Gefühl macht sich in mir breit.
Was ich da gerade leuchten sehe? Es ist ein Stelldichein der Skurrilitäten. Und skurrile Leute gibt es überall, sie toben sich in der analogen Welt genauso aus, wie in der digitalen. Der Hubsi zum Beispiel.
Hubsi ist ein Typ, der sich selbstbewusst an fast alles herantraut, vor allem, wenn man dabei Werkzeug einsetzen kann. Hubsi liebt laute Werkzeuge. Schnöde Schraubendreher sind zu leise, damit kann Mann keinen Staat machen. Es muss schon etwas sein, womit er auffällt. Etwas, was seiner Selbstdarstellung hilft und was sich von alleine über die Luft in alle Ohren verbreitet.
Zu bestimmten Jahreszeiten ist der Laubbläser sein liebster Freund. Im Frühjahr hilft der Schwingschleifer beim Aufpolieren der Bierbankgarnitur. Danach müssen die Tische und Bänke neu lackiert werden, aber das ist so unglaublich leise. Also macht das Henni, Hubsis Frau. Hubsi selbst hat natürlich auch einen großen Rasenmäher, mit dem er in seinem kleinen Garten Krach machen kann. Das ist natürlich nicht so ein Ding mit Akku, sondern es hat einen richtigen Motor, den Hubsi einmal wöchentlich mit einer Starterleine anwerfen muss, als wäre es der Außenbordmotor eines schnittigen Bootes. Neulich hat Hubsi eine Kreissäge angeschafft, seit Wochen schneidet er damit Platten für seine Terrasse zu. Wenn das noch eine Weile so geht, hoffe ich insgeheim, bleibt kein Platz mehr für den Rasen, und dann endlich schweigt Hubsis Rasenmäher für immer. Dann wird vielleicht noch einmal im Jahr die Terrasse gekärchert und gut ist.
Hubsi kann aber auch twittern. Zumindest analog: Gestern Abend sind ein paar Jungs grölend durch die Siedlung gezogen, scheinbar gab es einen Anlass zum Feiern. So etwas passiert selten hier, aber Hubsi fühlte sich wohl belästigt. Also hat er sein Fenster aufgerissen, laut „Abschaum“ gebrüllt und das Fenster sogleich schwungvoll wieder zugeknallt. Na, dann wissen wir das jetzt auch.
Wenn jemand etwas kritisiert, erfahren wir meistens recht viel über den, der die Kritik äußert. Und ganz oft eben mehr über den Kritiker selbst als über den eigentlichen Gegenstand seiner Kritik. So, genug davon. Ich ziehe jetzt los, um mit Gitti über ein kleines Umgestaltungsprojekt zu verhandeln, mit dem sie Dinge unsichtbar zu machen trachtet, die eigentlich ganz dekorativ und offen sichtbar schon vor Jahren einen schönen Platz gefunden haben. Vielleicht können andere Sachen dafür umziehen. Aber wohin bloß? Mich treibt der Respekt und mich scheuen der Rattenschwanz an Arbeit und der verlagerte Optimierungsbedarf. Aber es muss sein. Auf geht’s!
Danke liebe Miri für die tolle Story
aus dem Alltag!
Du hast uns da bildhaft voll mitgenommen!
Atmen hilft da schon und zündet das Fünkchen Hoffnung immer neu an!