Gitti, die Schwägerin und ich wollen uns bewegen, gemeinsam schicken wir uns heute an, den Europaweg in Dobel „zu machen“, wie das neuerdings anscheinend heißt. Ich weiß nicht wirklich, was wir da „machen“, außer eben rumlaufen und gucken, aber wir müssen mit der Zeit gehen und neugierig bleiben – auch sprachlich. Das heißt zum Glück noch lange nicht, dass wir uns auch gleich alles angewöhnen müssen, was man da entdecken kann!
Apropos entdecken: Die Duden-Redaktion hat 1999 in Zusammenarbeit mit einem Getränkehersteller einen Wettbewerb veranstaltet, um eine vermeintliche Sprachlücke zu schließen. Man konnte hungrig oder satt sein, aber es gab bis dahin kein explizites Gegenteil von durstig. Gewinner des Wettbewerbs war das Kunstwort „sitt“. Es wurde dann auch gleich in den ehrwürdigen Duden aufgenommen.
Welch ein Gewinn! Jetzt konnten wir uns also endlich den Ranzen vollschlagen, dabei dem Wein oder anderen Getränken ausgiebig zusprechen und im Anschluss wohlig seufzend verkünden: „Ich bin sitt und satt!“
Einige Jahre später wurde das Wort wieder aus dem Duden gestrichen, weil es sich im Sprachgebrauch nicht durchgesetzt hat. Na ja, in meinem schon, aber das haben die Duden-Leute anscheinend nicht gewusst.
Gitti, die Schwägerin und ich spazieren also auf dem Europaweg herum. Die Strecke ist schön, der Weg nicht zu lang, und wir können den gestrigen Abend verdauen, der übrigens auch mit sitt und satt endete. Der kräftige Wind weht mir durch Hirn und Frisur…
Wir kommen an einem langen Stamm vorbei, es handelt sich um den immer noch sehr aufrecht stehenden Rest eines bereits abgestorbenen Baums. Der Stamm hat ganz viele große Löcher, in denen so manches Tier wohl ein Heim gefunden haben könnte. „Guck mal,“ sage ich zu Gitti, „das erinnert mich an die Kohlmeisen, die mal in Dein Blaumeisenhäuschen einziehen wollten.“ Die Schwägerin wirft ein: „Die passen doch gar nicht da rein, die sind doch viel zu dick!“ „Stimmt genau!“, gebe ich zu.
Das war damals so: Gitti hatte ein kleines Vogelhäuschen in den Apfelbaum gehängt. In den ersten Jahren haben darin Blaumeisen genistet. Eine von denen ist dann später durchgeknallt und immer wieder mit Karacho gegen unsere Fensterscheibe geflogen. Wir haben alles versucht, aber wir konnten sie nicht davon abhalten. Die Blaumeisenfamilie war im Jahr darauf nicht mehr zu sehen. Nach einer Weile interessierten sich die Kohlmeisen für das Häuschen. Weil sie zu dick waren, haben sie den Specht bestellt – jedenfalls kam mir das so vor.
Der Specht war einige Zeit mit der Vergrößerung der Vogelhaustür beschäftigt. Echt nervig, das Gehämmer, aber einem Specht zugucken können, das war schon was. Also stand ich drinnen hinter der Scheibe, während der Specht draußen voll konzentriert sein Werk verrichtete. Mein Schädel brummte schon vom Zugucken, ich bin echt froh, dass ich nicht auf diese Weise mit dem Kopf arbeiten muss! Ich baute eine innere Beziehung zum Specht auf. Bald darauf: Herr Specht vollendete sein Werk und Familie Kohlmeise zog ein.
Gitti und die Schwägerin wollen jetzt wissen, was das mit dem Stamm hier im Wald zu tun hat. „Guckt Euch mal die vielen Löcher in dem Stamm an. Ich glaube ja, dass der Specht ein richtiger Unternehmer ist. Mit allem Drum und Dran, inklusive Musterhaus!“ Die beiden wechseln einen bedeutungsschwangeren Blick. Vermutlich sind sie jetzt endgültig davon überzeugt, dass ich nicht alle Tassen im Schrank habe. Egal, da müssen wir jetzt durch! Ich richte mich auf, zeichne mit weit ausgestrecktem Arm zwei große Ellipsen in Richtung Stamm und zaubere folgendes Bild in die Luft: „Hier fehlt nur noch ein Schild mit der Aufschrift ‚Musterhaus Specht – Besichtigungstermine nach Vereinbarung‘. Dies hier ist bestimmt der Ort, an dem die Kohlmeisen damals mit dem Specht abgemacht haben, wie ihre neue Vogelhaustür aussehen soll, wetten?“
Danke für die Schmunzelpause liebe Miriam, für uns beide
😂😂 – eine tolle Story….
Wir können wohl noch einiges vom Specht lernen!
Am Haus in dem wir wohnen sind einige solche Löcher….