Gitti und ich wollen der Kälte entkommen, wenigstens für eine kleine Weile. Zugegeben, so richtig kalt ist es hier noch gar nicht, aber die kühle Feuchtigkeit kriecht uns bereits in alle Knochen. Die Vorfreude auf zwei Sonnenwochen arbeitet fleißig dagegen an. Es gelingt mir noch, den zweiten Band meiner Schmunzelstories als Buch zu veröffentlichen. Dann endlich ist es Zeit, unsere Koffer zu packen. Fuerteventura, wir kommen!
Die Reise verläuft planmäßig. Wir erreichen unser Ziel, es ist bereits dunkel. An der Rezeption empfiehlt uns ein freundlicher Herr, die Koffer im Nebenraum abzustellen und zuallererst das Restaurant zu besuchen, das in weniger als einer Stunde schließen wird. Dort lockt ein reichhaltiges Buffet. Wir probieren einige der köstlichen Speisen, trinken dazu einen leckeren Wein und freuen uns über die angenehme Atmosphäre. Gut gestärkt beziehen wir im Anschluss ein großzügiges Apartment im Obergeschoss eines der kleinen Häuschen, die sich hübsch über die Anlage verteilen. Sogleich öffnet Gitti die Terrassentür – und herein strömt ein erfrischender Luftzug, begleitet vom beruhigend gleichmäßigen Rauschen des Meeres. Gitti atmet tief ein. „Ist das nicht schön?“, ruft sie aus und guckt mich glücklich an. Auch ich nehme einen tiefen Atemzug. Einfach herrlich!
Am nächsten Morgen überrascht uns die bombastische Aussicht. Glücklich glotzen Gitti und ich minutenlang einfach nur aufs blaue Meer, den Strand, die Palmen …
Beim Frühstück stelle ich fest: Die Kaffeemaschine des Restaurants ist so überraschend, wie ein Glückskeks. Auf ihrem Display stehen allerlei Getränke zur Auswahl. Ein beherzter Druck auf den Cappuccino-Button setzt das Ding in Aktion. Gerade noch rechtzeitig sehe ich die Vorankündigung, dass mein Americano jetzt frisch zubereitet wird. Ein Americano ist ein Espresso, in den zum Schluss noch eine Ladung Wasser gekippt wird. Das ist was für Leute, denen ein Espresso zu stark ist. Ich finde den Knopf, mit dem ich meine Bestellung annullieren kann. Puh, das war knapp. Zweiter Versuch. Cappuccino gedrückt und bekommen, geht doch! So, nun möchte ich noch einen Cappuccino für Gitti. Ich bekomme eine heiße Schokolade, bemerke es aber erst, als das Gerät verkündet, dass ich die Tasse jetzt bitte entfernen soll. Die Frau hinter mir scharrt schon mit den Hufen.
Gitti hat heute also die Wahl zwischen zwei verschiedenen Heißgetränken und entscheidet sich für den Cappuccino. Die Schokolade ist sehr lecker! Der Automat wartet mit dieser Variante in den folgenden Tagen noch häufiger auf. Insgeheim bin ich darüber hoch erfreut.
Gitti und ich unternehmen ein paar Ausflüge und lernen Land und Leute kennen. Vor allem aber baden wir in dem Gefühl, nichts zu müssen, für alles Zeit zu haben und gut behütet einfach nur da sein zu können.
Im Restaurant, an der Bar, auf den schön angelegten Wegen, am Pool, am Strand und im nahe gelegenen Park begegnen uns natürlich auch Menschen. Ein Teil dieser Menschen arbeitet hier, die anderen genießen an diesem schönen Ort ihren Urlaub.
Leute gucken ist ja oft ein Hochgenuss! Zur Herausforderung geraten solche Begegnungen eigentlich nur, wenn die zu bestaunenden Leute allzu skurril oder allzu provokant daherkommen. In solchen Fällen lohnt es sich, Abstand zu gewinnen, die Blickrichtung zu wechseln und vor allem loszulassen.
Gitti kann sich zum Beispiel mit wachsender Begeisterung darüber aufregen, wenn ein Kellner nur geschäftig hin und her läuft, ohne dabei im Blick zu behalten, was so alles zu tun ist.
Eines Nachmittags finden wir Platz in einem Straßencafé. Gitti hat schon einen Kellner entdeckt und hofft nun darauf, ihn winkend zu uns lotsen zu können. Sie hat großen Durst. Er kommt aus der zugehörigen Bar, wird am ersten Tisch abgefangen und rennt wieder rein. Nach einer Weile kommt er wieder raus, bewaffnet mit einem Lappen und einem Tablett. Er schafft die Distanz von drei Tischen, setzt an, den Tisch abzuräumen und zu säubern. Mittendrin lässt er jedoch alles liegen und stürmt wieder in die Bar zurück. „Mit leeren Händen!“, empört sich Gitti und stellt ihr Winken ein.
Sein nächster Versuch besteht darin, den Gästen am vierten Tisch die Rechnung zu bringen. Erfreut sehen sie den Bon, mit dem er auf sie zukommt. Die Gäste von Tisch zwei jedoch rufen dem Kellner ihre Bestellung zu. Der junge Mann nickt eifrig. Er dreht sich schwungvoll um, rennt mit dem Bon in der Hand ins Innere der Bar zurück und leitet dort weiter, was er sich merken konnte. Vier Menschen an Tisch vier rutschen ungeduldig und frustriert auf ihren Stühlen herum.
Wir sitzen an Tisch sieben. Gitti malt sich aus, ob sie wohl zuerst verdurstet oder lieber gleich explodiert. Der Kellner überrascht sie, indem er sich plötzlich neben ihr materialisiert. Ich möchte vor lauter Schreck zuerst die Karte sehen, also zischt er wieder ab. Gitti guckt mich an, als hätte ich ein schweres Verbrechen verübt. Sie hat ja Recht. Ich hätte aufs Geratewohl einfach irgendetwas bestellen können. Dumm gelaufen.
Beim nächsten Auftritt hat der junge Mann tatsächlich eine Karte unterm Arm. Er schafft es bis Tisch drei, geht wieder rein und kommt nach einer halben Ewigkeit wieder. Mit einem Glas Bier. Ohne Karten.
Als Gittis Geduld fast am Ende ist, beschließen wir, woanders einzukehren. Der Kellner hat zwischenzeitlich noch ein paar Runden im vorderen Terrassenbereich gedreht. Heute Nacht wird er sicher tief und fest schlafen, schließlich hat er sich doch echt die Hacken abgerannt. Gitti muss dem überforderten Tropf weder eine Lektion zum Themenkomplex Effizienz und Übersicht erteilen, noch muss sie ihn beschäftigen. Diese Einsicht hilft ihr dabei, loszulassen. Schnell ist sie wieder fröhlich und entspannt.
Abends am Buffet staune ich darüber, wie breit ein Mensch sein kann, wenn er ziellos mit einem bereits beladenen Teller umhertaumelt. An so jemandem kommt man nicht unfallfrei vorbei. Es lohnt sich, einfach mal abzuwarten oder sich einen anderen Weg zu suchen. Ich stelle fest, dass die meisten Leute hier recht gechillt sind. Diejenigen, denen die Sonne schon eine leichte Bräune beschert hat, sind sogar besonders rücksichtsvoll. Frustriert und hektisch gucken und verhalten sich dagegen vornehmlich die Gäste, die innerlich noch gar nicht hier angekommen sind. Erfreut stelle ich fest, wie schnell sich die zunehmende Erholung auf den Gesichtern der Menschen spiegelt. Gestern noch fahrig und nervös, kommen sie spätestens morgen viel lockerer und unverkrampfter daher. Welch schöner Zauber!
Nach einem langen Strandspaziergang auf dem weißen, ganz weichen und immer überraschend kühlen Sand, streben Gitti und ich einer Eisdiele auf der Promenade zu. Wir geraten in eine kleine Gruppe, an der man schier nicht vorbeikommt, also laufen wir einträchtig mit ihnen zusammen ein kleines Stück des Weges.
Direkt vor uns geht ein Mann, der begeistert von seinen Erlebnissen erzählt. Auf Sächsisch. Herrlich! Seine Frau läuft uns allen voraus, seine Freunde sind hinter uns. Der Sachse untermalt seine Erzählung mit ausladenden Armbewegungen. Die Animateure in seinem Hotel haben sich was dolles für die Kinder ausgedacht. Ganz doll! Sie haben eine Plastikplane auf dem Poolwasser ausgerollt, und da sollten nun die kleinen Racker drüberlaufen. „Und wer am weitesten kommt, bevor er im Wasser landet, der hat dann am Schluss gewonnen!“, schließt er stolz. Dabei dreht der Mann sich triumphierend zu seinen Freunden um, bemerkt erstaunt Gitti, die seinem ausgestreckten Arm gerade noch ausweichen kann, und entschuldigt sich sogleich. Seine Frau guckt genervt, seine Freunde lachen laut. Auch Gitti lacht, und zwar ihn an: „Kein Problem! Wir wussten das auch noch nicht!“
Wir finden einen Platz in der Eisdiele. Auf der Promenade promeniert ein Mann, der eine unglaublich selbstgefällige Ausstrahlung hat. Ich frage Gitti, ob sie das auch so empfindet und woher diese Ausstrahlung eigentlich kommt. Woran genau macht sich die zur Schau getragene Selbstgefälligkeit fest? Wir löffeln unser Eis und schauen den Menschen beim Promenieren zu. Gitti bemerkt einen anderen Mann mit einer ganz ähnlichen Ausstrahlung.
Wir finden heraus: Die Schultern hat der Herr ein bisschen nach hinten überstreckt, seinen Bauch präsentiert er stolz, indem er ein leichtes Hohlkreuz macht. Der Kopf sitzt betont aufrecht auf dem leicht nach hinten gebogenen Hals. So wirkt er länger. Seine Arme hängen nicht etwa einfach nur locker herunter, nein! Er winkelt sie ein bisschen ab, stellt die Ellbogen seitlich etwas heraus. So greift der Mann sich förmlich den Raum, den er für sich ganz alleine beansprucht. In dieser Haltung kann man mit den Beinen nur noch etwas kleinere Schritte machen. Dabei müssen die Füße leicht nach außen zeigen, sonst klappt es nicht. Der ganze Schritt schwingt nicht aus der Hüfte, sondern mehr aus dem Knie. Insgesamt schwankt der Körper des Mannes bei jedem Schritt mächtig nach links oder rechts mit, je nachdem, welchen Fuß er gerade platt auf den Untergrund aufsetzt. Sein Blick richtet sich unbeirrbar nach vorne.
Gitti und ich beobachten weitere Männer und Frauen. Wir staunen über die vielen Bewegungsmuster und Körperhaltungen. Manche dieser Leute schweben geradezu elegant und harmonisch über die Promenade, bei anderen tut schon das Zugucken weh. Nicht immer tragen kaputte Hüften, Knie oder schlechtes Schuhwerk die Schuld. Meistens passt der Gesichtsausdruck hervorragend zur Bewegung und trägt entscheidend zur Ausstrahlung bei.
Beim Zähneputzen laufe ich am Abend heimlich ein paar Schritte vor dem großen Badezimmerspiegel hin und her und amüsiere mich köstlich über mich selbst. Probiere es mal aus, das ist einfach zu lustig! Horche dabei in Dich selbst rein und gleiche Dein Körpergefühl mit dem ab, was Du siehst. Strahle einfach alles aus, was Dir in den Sinn kommt. Viel Spaß dabei!
Wie immer vielen Dank für die inspirierenden Beobachtungen und ich hoffe ihr seid gut erholt und sicher zurück.
„Strahle einfach alles aus, was Dir in den Sinn kommt.“ – Ich frage mich gerade, ob man das auch bewusst einsetzen kann, um die eigene Stimmung zu verbessern. Als an einem Tag, an dem man sich irgendwie nicht gut fühlt und lieber vorübergebeugt mit hängenden Schultern dahin schlurfen möchte, bewusst gerade mit erhobenem Blick und einem Lächeln und großen Schritte schreiten. Gerade das Lächeln soll doch auch Hormone freisetzen und denn die anderen dann noch zurück lächeln, ist man doch gleich selbst viel besser gelaunt.
Lieber Tom,
das eignet sich tatsächlich als unterstützende Maßnahme zur Aufhellung der eigenen Stimmung. Ich habe das schon mehrfach getestet.
Liebe Grüße
Miriam