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Der Hamsterkauf

Gitti erzählt mir beim Frühstück von einem Hamster namens Mr. Goxx. Das ist nicht irgendein Hamster, der, von Kinderhand eingesperrt, große Teile seines kurzen Daseins in einem winzig kleinen Käfig fristet! Nein! Das ist der Hamster schlechthin. Klein, quirlig, kurz: the one and only Mr. Goxx.

Gitti mag Katzen und Hunde, meistens mögen die Katzen und Hunde auch Gitti. Schnell stellt sich dabei in der Regel eine Streichelbeziehung ein, deren Dauer sich auf die Besuchszeit beim zugehörigen Menschen beschränkt. Zu Hause möchte Gitti lieber ohne Tiere wohnen. Von einer großen Liebe zu Hamstern hat sie nie berichtet. Deshalb bin ich etwas erstaunt, dass sie mir gerade mit glühenden Wangen eine Geschichte vom Hamster erzählt. Nicht vom Pferd! Vom Hamster. Von Mr. Goxx.

Der wohnt auch in einem Käfig. Das arme Ding! Warum müssen wir Menschen eigentlich immer kleine Käfige für mehr oder weniger plüschige Mitbewohner bauen? Aber bevor ich mich da jetzt reinsteigere, höre ich besser mal aufmerksam zu, was Gitti zu berichten weiß.

„Der handelt mit Kryptowährungen!“, ruft sie zwischen zwei genüsslichen Bissen in ihr Croissant aus. An ihrer Wange klebt ein bisschen Blätterteig. Gittis Augen leuchten. „Ein Hamster?“, frage ich ungläubig nach. „Genau!!“, antwortet sie. Das Stückchen Blätterteig segelt elegant auf Gittis Teller herab. Und dann erzählt sie mir, dass irgendein deutscher Student zusammen mit einem Freund den Käfig seines Hamsters erweitert hat. Sie haben ihm ein Büro gebaut. Mr. Goxx kann nun jederzeit aus seinem normalen Käfig heraus und in sein neues Büro hineinlaufen. Das ist so ähnlich wie Homeoffice. Und dort gibt es neben einem Haufen Elektronik ein Hamsterrad und zwei Tunnel. Das Hamsterrad heißt jetzt „Intention Wheel“. Einer der Tunnel trägt die Aufschrift „buy“, der andere „sell“.

Ich lausche fasziniert und vergesse glatt, weiter zu frühstücken. Stück für Stück bringt Gitti mir nahe, wie das alles funktioniert.

Der nachtaktive Mr. Goxx rennt in sein Büro. Der Haufen Elektronik bekommt das mit und schwupps, wird ein Livestream gestartet. Mr. Goxx ist jetzt online. Irgendwann springt er ins Intention Wheel und läuft eine Weile darin herum. Wie ein normaler Hamster. Verlässt er das Rad, stellt die Elektronik fest, in welcher Stellung das Rad ist. „Wie früher beim Glücksrad. Ich kaufe ein e“, werfe ich ein. Aber Gitti ist nicht die Glücksradfee. Sie reicht mir ein Stück Brot und erklärt, was weiter passiert. Mit dem Intention Wheel hat Mr. Goxx nämlich gerade kundgetan, mit welcher der etwa dreißig Kryptowährungen er gerade jetzt zu handeln gedenkt. Mir entfährt ein „Hä bitte?“. Gitti lächelt listig und fährt fort: „Wenn der Hamster aus dem Rad gesprungen ist, läuft er in seinem Büro herum und irgendwann eben auch durch einen der beiden Tunnel.“ „Aha! Und damit ist klar, ob er kauft oder verkauft!“

Gitti nickt. Die vom Hamster gewählte Transaktion wird auch gleich online ausgelöst. So können der Student und sein Kumpel in Ruhe schlafen oder studieren oder tun, was normale Studenten eben so tun, während ihr Hamster im Broker-Modus Geld verdient oder verjubelt. Bisher scheint das gut zu funktionieren, Mr. Goxx hat durchaus schon Gewinne eingefahren, so hört man.

Das ist ja mal eine ganz andere Art von Hamsterkäufen! Nicht immer nur Klopapier oder Nudeln …

Interessant finden Gitti und ich, dass diese quasi zufällig ausgelösten Transaktionen bisher recht erfolgreich sein sollen. Gut, das Experiment oder der Spaß läuft erst seit ein paar Monaten. Vielleicht kann man den Erfolg erst nach längerer Zeit ordentlich würdigen und bestaunen. Aber wir lassen uns gerne ein wenig von der Goldgräberstimmung anstecken, die dieser Goldhamster verbreitet. Gitti und ich staunen sowieso immer wieder, auf welcher Basis die vielen Analysten und Broker zu ihren Entscheidungen kommen. Der Finanzsektor ist für mich gleichermaßen faszinierend und unheimlich. Oft schon gab es Börsencrashs und Spekulationsblasen. Kompliziert und verworren kommen die vielen Einflussfaktoren daher und zeichnen ein vielschichtiges Gesamtkunstwerk. Ein paar Leute zeichnen dann Transaktionen und bewegen dabei gewaltige Summen – vorzugsweise mit den richtigen Vorzeichen in Richtung ihrer eigenen Konten. Das ist nicht ganz meine Liga.

Der kleine Hamster ist schnell unser Glücksritter, der den gewichtigen Experten ein bisschen in die Finanzsuppe hineinspuckt. Und genauso schnell stilisieren wir ihn zum Robin Hood. Und dann träumen wir von den Dingen, die wir mit dem satten Gewinn so machen könnten, den unser eigener Hamster uns erwirtschaftete.

Gitti und ich werden keinen Goldhamster anschaffen, da sind wir uns einig. Nicht nur wegen des kleinen Käfigs! Klar ist auch: Solange wir keinen Lottoschein ausfüllen und abgeben, können wir auch nicht im Lotto gewinnen. Jedenfalls nicht mehr, als den Einsatz, den wir gespart haben, indem wir nicht gespielt haben. Was nun?

Nichts! Wir freuen uns einfach über die kleine Geschichte und genießen, dass es uns auch ohne Hamster(n) gut geht!

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Mauro und Gianna

    Eine wahre Freude mit deiner schönen Geschichte! Herrlich entspannt bei strahlender Sonne, in den königlichen Gärten von San Marco in Venedig.
    Vor unserem geistigen Auge schleicht Mr. Goxx 🐹
    in einem Broker Anzug durch die Schlossgartenanlage.

  2. Thomas

    Sehr schöne Geschichte, leider ist Mr. Goxx laut BBC Meldung vom 26.11.2021 verstorben.

    https://www.bbc.com/news/technology-59432659

    „The tiny trader began his financial career on 12 June 2021.After his final day of trading on 22 November, his portfolio was up 19.7% and he had made about 98 Euros profit.“

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