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Service-Krise

Bei Gitti brummt das Mobiltelefon. „Was ist das denn schon wieder? Ich hatte doch ‚bitte nicht stören‘ eingeschaltet! Immer stellt sich das von alleine um, ich krieg gleich die Krise!“ Gitti schimpft und geht dem unwillkommenen Geräusch auf die Spur. „Da ist nichts, warum machst Du jetzt Krach?“, fährt sie das Gerät an und wischt ungehalten auf dem Display herum.

Nach einer Weile entdeckt sie eine SMS. „Wer schickt den heutzutage noch eine SMS? Darauf muss man auch erstmal kommen.“ Sie liest und fragt: „Spinnen die? Wer ist denn Justin? Ich kenne keinen Justin!“ Ich sehe sie fragend an. „Was ist denn los?“ „Ich habe einen Termin bei einem Justin!?!“ „Wann?“ „Freitag.“ „Wo?“ „Weiß nicht, irgendeine Praxis.“ „Was hast Du denn zuletzt ausgemacht?“ „Nur das bei der Dings, wie heißt die noch? Aber das ist erst nächsten Dienstag. Die machen mich noch irre!“ Unter Protest steht sie auf und konsultiert ihren Kalender. „Genau, Dienstag, und kein Justin, wusste ich es doch!“

Gitti kommt zurück. „Guck mal!“, beschwert sie sich und reckt mir das Gerät entgegen. Bis ich irgendwas auf dem Display entziffern kann, ist es schon wieder schwarz. „Ich sehe nichts.“ „Du musst halt schneller gucken“, sagt Gitti genervt, entsperrt das Ding und reckt es mir erneut entgegen. Ich lese: „Unser Service für Sie: Am Freitag, den 19.03.2021 um 10:30 Uhr hat Justin einen Termin in unserer Praxis. Viele Grüße, Ihr Praxisteam …“ Da stehen noch der Name der Praxis und eine Telefonnummer ohne Vorwahl. „Seit wann heißt Du Justin?“ „Ich?!?“ „Also ich glaube, der Termin ist nicht bei, sondern für Justin. Guck doch nochmal.“ Gitti guckt also nochmal genauer hin. „Ah! Ich kenne keinen Justin. Und jetzt?“

„Wenn Du nett bist, sagst Du denen Bescheid, sonst warten sie vergeblich auf den kleinen Racker.“ Merkwürdigerweise sind wir uns jetzt beide sicher, dass Justin ein Kind ist und dass die Nachricht an ein Elternteil versendet werden sollte, damit der Junge auch brav erscheint. „Da ist keine Vorwahl!“, beschwert sich Gitti. „Um alles soll ich mich kümmern“, nörgelt sie weiter, recherchiert aber schon mal den Namen des Praxisteams im Netz. „Kein Wunder, das ist eine Zahnarztpraxis“, kichert sie bald. „Die kennen ihre Pappenheimer. In Dortmund!“

Gitti ist nett und ruft dort an. Die Terminfee am anderen Ende der Leitung steht mächtig auf derselben, als Gitti ihr den Sachverhalt zu erläutern versucht.

Ich bekomme nur das halbe Gespräch mit: „Guten Tag … Sie haben mir eine Nachricht für einen Termin geschickt, aber ich habe keinen Termin bei Ihnen. Sie haben die Nachricht an die falsche Nummer geschickt … Nein, mein Name ist jetzt nicht wichtig, ich habe schließlich keinen Termin bei Ihnen! Ich wohne nicht in Dortmund, noch nicht mal in der Nähe! … Das sind 520 km … Ich wollte nur Bescheid sagen, dass Sie jemand anderen informieren müssen … Freitag, 19.03. … Nein, nicht für mich! … 10:30 Uhr… Hören Sie, Sie können da nichts finden!! Der Termin ist für Justin, nicht für mich! … Ja, Justin … Nein, ich bin nicht Justins Mutter … Woher soll ich das wissen? Jedenfalls haben Sie eine falsche Nummer, nämlich meine … Könnten Sie bitte meine Nummer aus Ihrem System löschen? … Ich habe keine Lust, mich um Ihre Termine zu kümmern … Danke, Ihnen auch! …“

Gitti legt auf und guckt mich empört an: „Also die sind echt schwer von Begriff. Aber immerhin, der kleine Justin wird ihnen nicht entkommen. Dann können wir uns ja jetzt endlich was zu essen machen.“ Wir verziehen uns in die Küche und widmen uns dem Abendessen.

Zwei Wochen später grüßt das Murmeltier. Gitti stöhnt, hält mir das Display ihres Telefons entgegen, das Display wird sofort schwarz. „Was ist?“, will ich wissen. „Guck doch!“, sagt sie. „Geht aber nicht“, erwidere ich. Gitti entsperrt das Display, ich lese: „Unser Service für Sie: Am Donnerstag, den 01.04.2021 um 14:45 Uhr hat Enrico einen Termin in unserer Praxis. Viele Grüße, Ihr Praxisteam …“ Gitti tobt: „Soll das ein Aprilscherz werden? Wieso kriegen die meine Nummer nicht aus ihrem System? Muss ich jetzt alle zwei Wochen da anrufen, damit die Kinder später keine schlechten Zähne haben?!? Mir reichts!!!“ Dann beruhigt sie sich, schlägt nochmal die Vorwahl von Dortmund nach und ruft an – nur aus Fürsorge … und natürlich, weil sie nett ist.

Leider ist die heute amtierende Terminfee zunächst weder einsichtig noch erfolgreich, dafür aber ein rechter Feldwebel, gegen den Gitti sich souverän zu wehren weiß. Ihre Nummer hält sich leider dennoch hartnäckig in den Tiefen des Computersystems. Bereits am nächsten Tag ploppt ein weiterer Termin auf. Das Kind hat schon wieder einen anderen Namen. Gitti ist genervt und will sich nicht schon wieder von der Terminfee anraunzen lassen. Ich schlage ihr vor, sich selbst in der Praxis einen Termin zu buchen, sich benachrichtigen zu lassen und dann abzusagen.

Gitti jedoch greift zu einer eleganteren Abhilfe: Sie blockiert einfach die Nummer. Sollen die Mütter doch selbst auf ihre Kinder aufpassen, dafür fühlt sie sich jetzt nicht mehr zuständig!

Derweil ruft mich meine Autowerkstatt an und moniert, ich müsse dringend das Motoröl wechseln lassen. Das Auto selbst hat mich deswegen auch schon genervt. Im Cockpit ploppt vorwurfsvoll bei jedem Start der passende Hinweis auf. Ich entkomme dem Service nicht, mache also endlich einen Termin aus. Die freundliche Dame am anderen Ende der Leitung erwähnt noch beiläufig, dass ich dann zwei Tage im Voraus automatisch per SMS erinnert werde. „Nein! Das will ich nicht!!“ Sie erklärt mir, dass dieser Vorgang automatisiert ist, dagegen kann sie nichts tun. Jetzt bin auch ich genervt. Ich fühle mich verfolgt und bevormundet, auch wenn das vielleicht doch ein wenig übertrieben sein mag.

Meiner Empörung mache ich Luft, dann erzähle ich ihr von dem nervigen Terminservice beim Dortmunder Zahnarzt. Ja, das findet auch sie schrecklich. Jetzt höre ich, wie sie im Hintergrund auf ihrer Tastatur herumklappert. Und nach einer Weile triumphiert sie: „Ich hab’s gefunden! Ich nehme die Benachrichtigung jetzt raus.“ Danke!!!

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Tom

    Hallo Miri,

    das kann ich gut nachvollziehen. Das ist auch ein Grund, warum ich lieber keine Handynummer angebe, dann gibt es auch keine nervigen Erinnerungen gibt, sondern nur erfreuliche wie eine WhatsApp Mitteilung von der leiben Miri, daß es endlich einen neue Schmunzelstory. Viele Grüße an Gitti.

  2. Mauro und Gianna

    Wow…..
    Das kann tatsächlich an den Nerven kitzeln 😠,
    dagegen ist die Erwartung auf eine Nachricht
    für eine neue Story von dir, eine Freude 😀

    Danke dafür 🙏🏻🙏🏻

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