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Meine Knitterstudie

Gitti setzt in der Waschküche einen Kessel Buntes auf. Sie ist fest entschlossen, sich ihre gute Laune nicht verderben zu lassen, und so summt Gitti zur eigenen Begleitung ihrer guten Tat die Melodie von „Das bisschen Haushalt … sagt mein Mann“.

Das Lied wurde 1977 veröffentlicht. Seine Interpretin war die wunderbare Schauspielerin und Sängerin Johanna von Koczian. Sie verstarb leider kürzlich. Der ironische Text des Liedes zeugt vom damals immer noch bei uns vorherrschenden Rollenbild. Wenn ich das Lied heute höre, kann ich die damals übliche Geringschätzung häuslicher Arbeit fast körperlich spüren. Im selben Jahr trat übrigens endlich das von vielen Frauen bereits seit langem ersehnte Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts in Kraft. Bis dahin durften Ehefrauen nur dann berufstätig sein, wenn dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war. Die Entscheidung darüber oblag allein ihren Ehemännern. Mit dem Gesetz wurde das Partnerschaftsprinzip eingeführt. Seither sollen sich die Eheleute gemeinsam um alles kümmern, der Staat hält sich aus der konkreten Aufgabenverteilung nun heraus. Zudem traten wesentliche Änderungen im Scheidungs- und im Namensrecht in Kraft. So, genug davon, zurück zur Gegenwart!

Frisch duftend entnimmt Gitti alsbald diverse Kleidungsstücke der treuen Waschmaschine. Ja, Gitti duftet frisch! Die Wäsche aber auch … Unter den frisch gewaschenen Stücken befinden sich einige Blusen. Neulich habe ich eine neue Bluse erstanden. Sie trägt das Prädikat „bügelfrei“. Ich habe Gitti damit schon mächtig genervt. Kopfschüttelnd und ob meines Extrawunsches etwas zerknittert, separiert sie die Bluse vom Rest der Wäscheladung, welcher nun in den Trockner wandert. Die Bluse drapiert Gitti sorgfältig auf einem Bügel. Dort soll sie nun hängen und ganz alleine vor sich hin trocknen. Meine Erwartung ist, dass die Bluse danach ohne weiteren Arbeitsgang glatt und trocken in den Schrank wandern kann. Gitti murmelt etwas, stellt sich aber neuen Erfahrungen nicht in den Weg.

Nach zwei Tagen sehe ich nach der Bluse und ihrem Zustand. Das Ergebnis ist durchaus enttäuschend. Ich gucke ungefähr genauso zerknittert aus der Wäsche wie sich die Bluse mir selbst präsentiert.

Eine kleine Erinnerung steigt in mir auf. Ich hatte mal einen Kollegen, der zu beruflich bedingten Reisen stets mit einem winzig kleinen Koffer aufbrach. Neben ein paar Unterlagen fanden sich in dem kleinen Koffer Kulturgegenstände, also eine Zahnbürste, ein Rasierapparat und ein Duftwässerchen sowie Unter- und Oberbekleidung. Zu letzterer gehörten mindestens zwei Oberhemden nebst dazu passenden Krawatten. Im Rahmen einer gemeinsamen Geschäftsreise konnte ich einmal einen Blick in das Köfferchen werfen. Wir wurden damals direkt vom Flughafen zur Besprechung in die Räumlichkeiten unseres Kunden gebracht. Der Kollege holte dort einige Unterlagen aus dem Köfferchen hervor. Ich erkannte, dass der gute Mann nicht etwa alles sorgfältig zusammengelegt und dann behutsam hineingepackt hatte. Welch eine Fehleinschätzung! All seine Kleidung war in das Köfferchen regelrecht hineingestopft worden. Das stand in krassem Gegensatz zum stets äußert gepflegten Erscheinungsbild meines Kollegen.

Der weitere Tag gestaltete sich als Besprechungsmarathon und mündete nahtlos in einen ausgedehnten Restaurantbesuch mit unserem Kunden. Erst in der Nacht konnten wir müde, satt und ein klein wenig angetrunken im Hotel einchecken. Am nächsten Morgen erschien der gute Kollege wie aus dem Ei gepellt zum Frühstück, gewandet in ein frisches, komplett faltenfreies Hemd. Ich fasste Mut und fragte ihn, ob er in der Nacht noch einen Wäscheservice in Anspruch genommen habe. Nein, er sei direkt ins Bett gefallen, ließ er mich wissen.

Freundlicherweise klärte er mich später darüber auf, wie es dennoch möglich ist, einen so glattgebügelten Auftritt hinzulegen. Ich erhielt folgende Anweisung: Lasse am Abend in der Dusche des Hotelzimmers heißes Wasser laufen, drehe dabei den Duschkopf gegen die Wand. Innerhalb kürzester Zeit wird sich heißer Wasserdampf verbreiten. Hänge die Kleidung ordentlich auf einen Bügel und lasse sie im Dampf hängen. Schließe die Tür und warte. Nach wenigen Minuten wird die Kleidung komplett knitterfrei sein. Stelle das Wasser wieder ab, lüfte falls möglich das Bad und hänge die Kleidung für den Rest der Nacht im Zimmer auf.

Genau das will ich jetzt mit meiner neuen Bluse ausprobieren! Gitti bietet mir noch einmal an, den knitterigen Falten einfach und in bewährter Weise mit unserem Bügeleisen zu Leibe zu rücken, aber ich bin auf Forschungsreise und durch nichts aufzuhalten.

Im Bad setze ich um, woran ich mich soeben erinnerte. Dichte Dampfschwaden wabern alsbald umher. Mögen sie ihr Werk ungestört verrichten! Ich warte derweil vor der geschlossenen Tür. Eine kleine Aufräumaktion hilft, die Phase des Wartens zu überbrücken.

Natürlich erwacht bereits nach kurzer Zeit mein Kostenbewusstsein. Was ich hier anstelle, ist die reinste Form der Energie- und Wasserverschwendung. Mein Gewissen meldet sich vehement zu Wort und fordert den sofortigen Abbruch der Aktion ein. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Gittis Augen, die mich durch dichte Dampfschwaden hindurch anfunkeln, und ihr Gesichtsausdruck gibt mir deutlich zu verstehen, dass dieses Experiment scheitern wird.

Machen wir es kurz: Mit etwas mehr Dampf, einer besseren Verwirbelung der Luft und vor allem einer optimaleren Hängeposition des Bügels im Raum hätte ich vielleicht mehr erreichen können. Die Bluse weist immerhin weniger Falten auf als vor der Aktion.

Gitti betritt überraschend den Raum und reißt wortlos das Fenster auf. Dann nimmt sie mich in den Arm, fragt leise, ob ich meine Knitterstudie jetzt beendet habe und bietet mir zum Trost an, die Bluse später zu bügeln. Das kann ich zwar auch selbst, aber mich rührt ihre Fürsorge. Voller Freude nehme ich ihr Angebot dankbar an.

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