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Mein Kundenerlebnis

Als Kundin bin ich echt pflegeleicht. Ich beschwere mich selten. Allerdings hat das auch damit zu tun, dass meistens gar keine Gründe für eine Beschwerde vorliegen. Wer mich erreichen möchte, kann dies gerne postalisch oder elektronisch tun. Marketinganrufen von Firmen widerspreche ich, wo es nur geht. Auf solche Telefonate kann ich nämlich sehr gut verzichten.

Meine Telefongesellschaft hat diese Woche mehrfach versucht, mich auf den wenigen, von mir noch zugelassenen Wegen zu erreichen. Meistens landen solche Nachrichten ungelesen in analogen oder digitalen Papierkörben. Wenn etwas gut läuft, gibt es keinen Grund für Änderungen. Heute jedoch gucke ich entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten doch mal rein. Was wollen die eigentlich von mir?

Vielleicht ist ja dieser Brief das Papier einmal wert, auf das er gedruckt wurde. Dieser Gedanke begleitet das Öffnen des Umschlags. Die fett gedruckte Betreffzeile verspricht für meine künftige Mobilfunknutzung eine höhere Geschwindigkeit und ein größeres Datenvolumen bei unverändertem Preis. Wieso sollten die mir etwas schenken wollen? So ganz ohne Not? Genervt bin ich schon drauf und dran, den Zettel dem Altpapier zu überantworten. Ich drehe ihn um. Die Rückseite ist leer. Der Text auf der Vorderseite ist recht kurz gehalten. Prägnant bringen sie auf den Punkt, was das Angebot enthält.

Ein Sternchen verweist auf den sehr klein gedruckten kurzen Abschnitt, der direkt oberhalb der Fußzeile abgedruckt ist. Mit bloßem Auge kann ich bei schlechter Beleuchtung nur schwer entziffern, was da alles steht. Es geht schon, aber es ist echt mühsam. Vielleicht hätte ich die Mail gestern doch nicht endgültig löschen sollen, die mir parallel zum Brief zugestellt wurde. Da hätte ich nach Herzenslust zoomen können! Wieder verspüre ich den Impuls, den Brief dem hungrigen Altpapierbehälter zum Fraß vorzuwerfen. Aber ich verspüre noch einen anderen Impuls. Inzwischen interessiert mich, wo der Haken an der Sache ist. Wieso sollte die Telefongesellschaft Leistungen verschenken wollen? Das muss aus dem Text doch irgendwie herauszulesen sein!

Ein herzhafter Druck auf den Lichtschalter und der routinierte Griff zur Brille versetzen mich in die Lage, mich ganz entspannt dem Kleingedruckten zu widmen.

Wider Erwarten stehen da keine Schweinereien drin, die ich überlesen soll. Das Angebot ist seriös. Nicht zu fassen! Dennoch – so ganz ohne Grund machen die das nicht!! Ich lese den Text nochmal. Dann hole ich bei Gitti eine zweite Meinung ein. Auch sie findet das Angebot seriös. Ich entschließe mich, jetzt unter der angegebenen Telefonnummer mit der Telefongesellschaft in Kontakt zu treten.

Die Verbindung baut sich im Handumdrehen auf. Nach wenigen Sekunden meldet sich am anderen Ende der Leitung eine freundliche Frau, die mir ihren Vornamen und den Namen der Telefongesellschaft nennt. Oder ist sie adlig, trägt den Namenzusatz „von“ und heißt mit Nachnamen zufällig so, wie die Gesellschaft? Das ist unwahrscheinlich. Na gut, dann hat sie eben nur einen Vornamen, das passt in die heutige Zeit. Die gute Frau fragt nach meinem Anliegen. Ich gestehe, dass ich mich für das Angebot interessiere, dass mir auf dem Postweg ins Haus geflattert ist.

Es folgen ein paar Sicherheitsabfragen ihrerseits, mit denen ich mich als ich selbst identifizieren lasse. Das haben die von der Telefongesellschaft sehr geschickt gelöst. Wir greifen auf bestimmte Stellen meiner Service-PIN zurück, sie liest mir meine Mobilnummer vor, unter der ich gar nicht angerufen habe, und auch mein Geburtsdatum spielt bei der Multi-Faktor-Identifikation noch eine Rolle. Auf diese Weise wissen nun die Frau mit dem Vornamen und auch ich, dass wir zu Recht miteinander verbunden sind. Jetzt darf sie mir endlich erklären, worum es bei dem Angebot geht, und das macht sie geduldig, ausführlich und gut sortiert.

Die einzige Information, die ich dem Schreiben nicht ganz sicher entnommen, aber insgeheim schon erraten hatte, ist die, dass es sich um einen Wechsel in ein anderes, neueres und leistungsfähigeres Netz dreht. Für mich ist damit klar, was das alles soll. Ohne weitere Erklärungen seitens der Frau mit dem schönen Vornamen und der angenehmen Stimme setze ich mir aus den Informationen die Motivation meines Vertragspartners zusammen. Die Telefongesellschaft möchte ihre Kundschaft ins neue Netz überführen und auf längere Sicht aus dem alten Netz aussteigen. Zur Mobilisierung der trägen Kundschaft gibt es Tarifgeschenke. Das neue Netz ist in Wahrheit auch schon nicht mehr ganz so neu. Den Namen kenne ich bereits seit geraumer Zeit. Das Netz ist den Kinderschuhen schon entwachsen und so erwarte ich bei Vertragsabschluss keine Scherereien.

Ich bekunde mein Interesse.

Die junge Frau erklärt mir das weitere Procedere. Sie möchte den nun folgenden Teil unseres Gespräches aufzeichnen. Ich erkläre mich damit einverstanden. Nach dem Start der Aufzeichnung wiederholen wir einen Teil der Multi-Faktor-Identifikation meiner Person. Danach liest sie mir alle Bestandteile der geplanten Vertragsumstellung vor. Alle! Als sie sich ganz am Anfang einmal kurz verhaspelt, bin ich sicher, dass ihr Vortrag nicht vorab aufgenommen wurde. Ich spreche ihr Mut zu und sie bedankt sich dafür. Sie rattert auch danach den Text nicht einfach runter, nein! An der Frau mit dem Vornamen ist nämlich eine begnadete Hörbuchsprecherin verlorengegangen. Ich könnte ihrem Vortrag stundenlang zuhören. Die Sprechweise ist so ausgezeichnet, dass ich ganz konzentriert alles aufnehmen kann, was der Text enthält. Ich bin wirklich beeindruckt.

Als sie nach einer halben Ewigkeit fertig ist, kündigt sie das Ende der Gesprächsaufzeichnung an. Ich frage sie, wie oft sie das pro Tag macht. Die Frau mit dem schönen Vornamen lacht und sagt fröhlich: „Zurzeit sehr viele Male am Tag.“

Wir bringen unser Telefonat mit beiderseitig geäußerten guten Wünschen für den weiteren Verlauf des Tages zu Ende. Ich erhalte eine Mail, in der nochmal alles ganz genau steht. Die soll ich mir in Ruhe durchlesen. Wenn dann alles passt, kann ich auf einen Bestätigungs-Button klicken. Erst dann kommt der Vertrag zustande, und danach kann ich es mir sogar noch eine gewisse Zeit lang anders überlegen und alles wieder in den Zustand zurückdrehen, der gerade jetzt noch aktuell ist. So wächst Vertrauen.

Zufriedene Kunden stehen derzeit bei vielen Firmen sehr hoch im Kurs. Eigentlich sollte das selbstverständlich sein. Bei Firmen, in denen die Mitarbeiter die Kundschaft als störend und hemmend empfinden, steht irgendwann der Pleitegeier vor der Tür. Kunden können schließlich mit den Füßen abstimmen und sich anderen Vertragspartnern zuwenden. Modern ist gerade, die Kundenzufriedenheit durch tolle Kundenerlebnisse zu erhöhen. Mein Telefonat mit der Frau ohne Nachnamen gehört bestimmt in diese Kategorie. Mir war es jedenfalls eine Freude.

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