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Zwischen den Jahren

Die gefühlt längste Woche des Jahres ist die Woche zwischen Weihnachten und Neujahr. Gitti und ich sagen dazu gerne „zwischen den Jahren“. Jedes Jahr komme ich in dieser speziellen Woche an einen Punkt, an dem ich keine Ahnung mehr habe, welcher Wochentag heute ist. Das passiert mir sogar, wenn ich mal keinen Urlaub habe und quasi im Büro Stallwache halte. Dieses Jahr habe ich zwischen Weihnachten und Neujahr frei. Zusammen mit Gitti verbringe ich Qualitätszeit. Ansonsten kümmere ich mich um Sachen, die ich aufgeschoben habe. Dabei geht es um langweiliges Zeug, von dem ich jetzt nicht berichten werde. Für mich ist die Zeit zwischen den Jahren immer eine schöne und sehr intensive Zeit.

Ich weiß durchaus, dass es Menschen gibt, denen es ganz anders geht. Nicht jeder kann diese Zeit genießen. Für manche ist es sogar die schlimmste Zeit, die das Jahr für sie bereithält. Als stets hoffnungsvolle Optimistin habe ich mich allerdings der Fröhlichkeit und der Zuversicht verschrieben. Natürlich denke auch ich zwischen den Jahren viel an Menschen, die ich nicht mehr live und in Farbe sehen kann. Ich vermisse sie. Und ich gebe alles dafür, dass mir dabei schöne Erinnerungen einfallen, die ich mit diesen Menschen verbinde. Dann überwiegt irgendwann das warme Gefühl der schönen Erinnerung alle Trauer um die Gelegenheiten, die sich leider nicht mehr bieten. Mit diesem warmen Gefühl verbinde ich mich. Und dann zwinkere ich dem vermissten Menschen einfach zu. Ich sende ein Lächeln. Ganz oft kommen das Zwinkern und das Lächeln sogar zurück – eben als ein tief empfundenes, ganz warmes, herzliches Gefühl. Ein richtiges Wohlfühlbad!

Mitten in unserer gemeinsamen Qualitätszeit sitzen Gitti und ich beieinander. Gitti hat sich ein Hörbuch ausgesucht. Jetzt versucht sie, über den smarten Fernseher eine App zu steuern, die uns das Hörbuch so vorliest, dass der Sound über die Soundbar kommt. Ich weiß, die App liest da eigentlich nichts selbst vor, aber so formuliert fühlt es sich für mich stimmiger an. Alle smarten Dinge, die für dieses Unterfangen zusammenarbeiten müssen, verhaken sich spontan. Seltsame Dinge geschehen. Manchmal sogar einfach – nichts. Gitti kämpft.

Das nächste Buch soll wahrscheinlich doch lieber wieder ich vorlesen. Aber ich bin ja auch nicht immer gleich verfügbar. Überhaupt: Gitti will es jetzt wissen. Sofort! Und weil die Zeit zwischen den Jahren so besonders ist, bringt Gitti auch besonders viel Geduld auf. Sie muss mal wieder einige Geräte so trainieren, dass diese Gittis Stimme und vor allem die von ihr geäußerten Wünsche verstehen. Wann muss sie etwas sagen und wann ist einfach auf einer Fernbedienung irgendein Knopf zu drücken? Es gilt, herausfinden, wie das alles tickt und was genau zu tun ist, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Zwischendurch muss Gitti ordentlich fluchen und die Technik als vorsintflutlich beschimpfen. Aber sie gibt nicht auf!

Gittis Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Irgendwann sitzen wir einträchtig nebeneinander und lauschen dem mit ruhiger Stimme vorgetragenen Text. In einer Pause sagt Gitti anerkennend: „Schon toll, was heutzutage so alles geht!“ Sie hat schnell Frieden geschlossen mit all den unsäglichen Schwierigkeiten, die sie so wacker überwunden hat. Ich zolle ihr meinen tief empfundenen Respekt!

Liest mir jemand ein Buch vor, so muss ich mein Kopfkino umstellen. Ich erfasse den Text und die handelnden Personen auf eine komplett andere Weise, als wenn ich den Text selbst lese. Während Gitti sich sehr schnell in den Hörgenuss hineinfallen lassen kann, ertappe ich mich bei kleinen Unkonzentriertheiten. Allzu oft erliege ich dem Reiz, nebenbei noch etwas anderes tun zu können. Aber wenn die vortragende Stimme sehr angenehm ist, das Sprechtempo passt, wenn mich der vorgelesene Text fesselt, ja dann tauche ich tief ins Hörerlebnis ein und vergesse all die kleinen Dinge, die mich ablenken könnten. Und das gelingt mir am ehesten zwischen den Jahren.

Gitti sitzt neben mir und lauscht. Scheinbar tut sie nichts anderes. Aber dann gerät sie plötzlich in Bewegung, verrenkt sich fast den Hals und ruft: „Wer hat denn da die ganzen Fusseln unter mir fallengelassen? Und wie ist er da bloß hingekommen? Gekrochen vielleicht?!? Wie aufmerksam!“

Der plötzliche Ausruf und der empörte Unterton, der hier mitschwingt, reißen mich aus der Entspannung. Vor Schreck zucke ich richtig zusammen. Das wiederum erschreckt Gitti. Mit weit aufgerissenen Augen starren wir einander wortlos an.

Bald beruhigen wir uns wieder. Gitti zeigt noch einmal vorwurfsvoll mit dem Finger auf die Fusseln, die sie soeben unten auf dem Boden entdeckt hat. Dann schnappt sie sich die Fernbedienung und spult routiniert das Hörbuch ein bisschen zurück. Hui, welch ein Moment! Die Fusseln müssen warten. Jetzt kann es weitergehen im spannenden Text zwischen den Jahren.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Thomas

    Hallo Miri,

    ein Zwinkern und ein breites Lächeln zurück zu Euch von uns.

    Was die Hörbücher angeht, habe ich mir die für Fahrten im Wagen schön gehört, ansonsten bevorzuge ich die analoge Form nach wie vor, auch wenn ich auch zwischendurch eBooks lese.

  2. Mauro und Gianna

    Zwischen den Jahren ist genau die richtige Zeit um alles alte loszulassen. Es ist die richtige Zeit um zu bereinigen was einen belastet. Für Menschen denen es in dieser Zeit nicht so gut geht, ist es genau die richtige Zeit um in der Ruhe aufzutanken!
    Es ist das Ende eines Jahres, was aus 365 Tagen einen Kranz von Erlebnissen flechtet, ein Bild aus Licht und Schatten malt, und eine Melodie aus lauten und leisen Tönen komponiert!
    Diese letzte Woche zwischen den Jahren bietet uns die Gelegenheit zur Ruhe zu kommen, und die Chance neue Weichen zu stellen!
    Weichen voller Hoffnung und Zuversicht auf Freude für alles was noch kommen darf, mit dem Bewusstsein, dass wir selbst für die Veränderung verantwortlich sind!
    Auf ein neues Jahr! Auf weitere 365 Tage in Dankbarkeit für alles was möglich ist, in Dankbarkeit für alles was wir haben und in Dankbarkeit für tolle zwei Freunde 😄😄 die eine große Rolle in unserem Kranz der Ereignisse spielen, unserem Bild mehr Licht als Schatten verleihen, und unserer Melodie viele harmonische Töne!!
    Danke Miri, danke Gitti 💕

    Schön dass es euch gibt 🙏🏻🥰🙏🏻🥰

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