Gitti und ich genießen immer noch unseren Urlaub. Auf der Fahrt zur nächsten langgestreckten Bucht fragt sie mich, wie warm es draußen ist. Das Fenster möchte Gitti jetzt nicht öffnen. Ihr Smartphone findet gerade kein Netz. Auf dem Display des Armaturenbretts entdecke ich die Antwort: 77°F. Gitti ist verdutzt: „Grad Fahrenheit? Echt jetzt? Wieviel ist das in Grad Celsius?“
Ich habe die Umrechnungsformel auch schon wieder vergessen und weiß nur noch, dass man etwas abziehen und anschließend noch mit unhandlichen Zahlen weiterrechnen muss. „Du kannst die Formel auch in den Schmunzelstories finden!“, rufe ich ihr zu.
Hinter der nächsten Kurve verbindet sich Gittis Smartphone wieder mit dem Netz. Sie fragt konkreter nach: „Wo denn da?“ Ich empfehle ihr, unter einer der Geschichten oder im Menü das Feld „Suche“ zu suchen und dort „Fahrenheit“ einzugeben. Gitti navigiert und tipselt. Wir fahren über eine kleine Bodenwelle. Gittis Finger und das Display hüpfen in unterschiedliche Richtungen. Sie unterdrückt eine Beschwerde. Dann ruft sie: „Ah, in ‚Komma gucken‘ steht es. Wieviel Grad Fahrenheit?“
Es sind 77. Gitti rechnet: „77 minus 32 sind 45. Jetzt noch mal 5 und durch 9. Oder, weil es sich hier anbietet, zuerst durch 9 und dann mal 5. 45 durch 9 sind 5, jetzt mal 5 sind 25. Hab‘ ich mir schon so gedacht!“
Eine Weile darauf sitzen Gitti und ich gemütlich am Strand, schauen hinaus aufs weite, blaue Meer und lauschen dem typischen Rauschen der Brandung. Hier tanken wir richtig auf. Wir füllen fleißig unsere inneren Resilienz-Lager mit jeder Menge Zufriedenheit, Gelassenheit, innerer Stärke, innerer Ruhe und Zuversicht.
Mit Resilienz assoziiere ich vor allem die Fähigkeit, Stress zu widerstehen. Aufgrund meiner Persönlichkeitsstruktur kann ich Probleme nur dann wirklich gut und auf kreative Weise lösen, wenn ich mich von dem inneren Stress löse, den diese Probleme in mir auslösen. Das Lösen ist mein entscheidender Schlüssel zur Lösung.
Einträchtig sitzen wir also am Meer, genießen und tanken auf. Gitti erinnert mich an eine Zeichentrickserie über Yakari, die wir neulich zufällig entdeckt haben. Yakari ist ein kleiner Sioux. In der Episode, die wir gesehen haben, möchte er die Freundschaft eines ganz außergewöhnlichen Pferdes gewinnen. Auf seiner Suche nach dem Pferd begegnet er einem großen Adler, der ihm die Gabe verleiht, die Sprache der Tiere sprechen zu können. Yakari gerät natürlich in abenteuerliche und gefährliche Situationen, und wir dürfen ihn dabei begleiten. Adler und Pferd müssen auf den kleinen Racker immer wieder aufpassen und ihm helfen. Gitti und ich fiebern mit.
„Schnell, Du musst Dich verstecken!“, ruft Gitti dem kleinen Yakari zu, als es Spitz auf Knopf steht. Doch Yakari läuft jetzt erstmal rhythmisch tänzelnd eine Runde im Kreis und singt dabei: „Heya, heya, heya …“
Danach verschwindet er behände hinter einem großen Stein. Baff gucken Gitti und ich uns an. Das war nicht nur eine Übersprungshandlung. Das war …
Yakari hat sich gelöst. Zuerst innerlich von der brenzligen Situation, dann zum Glück noch rechtzeitig von seinem Tänzchen. Das Tänzchen hat ihm den Stress genommen. Er fand die Lösung und vor allem ein geeignetes Versteck. Wie genial ist das denn!?!
Später, auf dem Rückweg zum Auto, laufen auch Gitti und ich kichernd ein kleines Heya-heya-heya-Ründchen. Das ist so erfrischend absurd und fühlt sich zugleich so erfrischend befreiend an. Den Trick muss ich mir unbedingt merken!
Unser Urlaub neigt sich leider schon bald seinem Ende zu. Gitti und ich kosten die kostbare Zeit voll aus.
Heute geht es wieder nach Hause. Am Flughafen kommen wir erfreulich schnell durch das übliche Prozedere mit Check-In und Sicherheitskontrolle. Wo ist das Plätzchen, an dem wir die Zeit bis zum Boarding überbrücken werden? Vielleicht da draußen? Eine Freiluftbar lockt. Die Türen nach draußen schwingen auf. Der Geruch von Kerosin und altem Frittenfett treibt uns an, auf dem Absatz kehrt zu machen. Eine Drinnen-Bar ist in Sichtweite und zieht uns beide nun magisch an. Der anschließende Flug verläuft ruhig – abgesehen von den allzu aufgeweckten Kindern in der Reihe vor uns. Gibt es eigentlich auch Adults-only-Flüge?
Am späten Abend steigen wir in ein Taxi. Als ich die Adresse nenne, entfährt dem Taxifahrer ein „Scheiße!“ Wir wohnen nicht allzu weit vom Flughafen entfernt, tut uns leid. Die Fahrt wird uns immerhin 20 € kosten, aber der Taxifahrer hatte offensichtlich heute wenig Glück.
Gitti versucht noch, ihn aufzuheitern, fragt nach und zeigt sich verständnisvoll. Der Fahrer jedoch bleibt beharrlich in seinem Unglück gefangen. Er merkt noch an, dass wir nichts dafür können, betont, dass Leute wie wir selbstverständlich befördert werden müssen und gibt sich im Anschluss ungestört seiner Tirade hin: „Scheißendreck! Das ist doch nicht normal! Schon die vierte Fahrt so kurz. Was für Scheißendreck! Ich mache den Job, weil ich da frei bin. Aber so ein Scheißendreck, das darf doch nicht wahr sein!! Scheißendreck …“
So geht es die restliche Fahrt über weiter. Gitti und ich sitzen auf der Rückbank, zwinkern uns zu und singen leise: „Heya, heya, heya.“