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Quanten runter

„Nimm sofort Deine Quanten da runter!“, höre ich aus Nachbars Garten, gefolgt von genervtem Nölen, was der typischen und einzigen Art entspricht, in der ein pubertierender Teenager auf solch einen Anraunzer reagieren kann.

Ich sitze derweil gemütlich im Liegestuhl, lasse die Sonne meine Endorphinchen kitzeln und meine Gedanken auf Reisen gehen.

Quanten, hihi, sagt man das heute noch? Egal, Pubertierende müssen auch ein paar Fremdwörter kennen, finde ich und lehne mich genüsslich zurück. Des Pubertiers Füße sollen also vom Tisch, von der Bank, vielleicht auch von irgendetwas anderem heruntergenommen werden, was sonst zu Schaden kommen könnte. Oder es geht in Nachbars Garten gerade nur um die Vermittlung tradierter Verhaltensmuster, im Sinne von: „Das tut man nicht“, oder: „Das gehört sich nicht“, wer weiß das schon.

Als ich in dem Alter war, waren Quanten als große Füße bekannt, oft und besonders auf Jungs bezogen, mit penetrantem Schweißgeruch assoziiert und definitiv kein Wort aus dem Sprachgebrauch unserer Eltern. Das mit dem Geruch lag meistens an den Schuhen, die fast alle trugen und die eines gewiss nicht waren, nämlich atmungsaktiv. Puh, der käsige Geruch dringt in meine Nase, aber das liegt nicht am Nachbarskind, sondern nur an meiner Vorstellungskraft. Ich schüttle mich.

Quantensprünge waren riesig – was auch sonst bei so großen Füßen!

Und dann zogen die Physiker los und suchten nach einem tollen Begriff für das kleinste Ding, das sie sich vorstellen konnten. Sie kramten in ihrem Latein und fanden das Quantum mit der Bedeutung „wie groß“ oder „wie viel“. Kann man etwas quantifizieren, also messen und sagen, wie viel man davon hat, dann gibt es dieses Etwas gewiss auch. Ist es das „gewisse Etwas“? Nein, da biege ich jetzt nicht ab!

Im Griechenland der Antike hatte Demokrit schon nach einem unteilbaren Grundbaustein unserer Welt gesucht. Erst Anfang des letzten Jahrhunderts konnte man Atome überhaupt nachweisen und heute sind 118 verschiedene Atome bekannt. Schließlich gelang es, die Atome weiter zu zerlegen. Niels Bohr hat sein berühmtes Atommodell 1913 vorgestellt und mittlerweile quanteln wir so vor uns hin. Das Photon wurde als Quant des elektromagnetischen Feldes ausgemacht und das Graviton stellt das Quant des Schwerefeldes dar. In vielen Jahren lacht man vielleicht über diese Vorstellung, so wie wir heute über Demokrits Vorstellung vom unteilbaren Atom.

Aktuell stellen sich die Physiker vor, dass ein Quant zugleich Teilchen, aber auch Welle sein kann. Es verhält sich nämlich mal so und mal anders. Als Teilchen befindet es sich an einem bestimmten Ort, zeitgleich wirkt es jedoch wie eine Welle an anderen Orten und mit unterschiedlicher Stärke. Am verblüffendsten: Es scheint nur da zu sein, wenn wir zufällig gerade hingucken.

Heute habe ich gehört, dass die Wissenschaftler sich vorstellen, das Universum könnte ein zweidimensionales Hologramm sein. Dann würde alles im Raum praktisch nur als Information auf einer Fläche gespeichert. Also auch ich oder vielmehr meine Bestandteile. Alles nur eine Matrix. Ist die Erde dann doch eine Scheibe? Alte weiße Männer, freut Euch nicht zu früh! Wir wissen es noch lange nicht!

Die meisten Menschen finden solche Gedanken und Forschungen gar nicht so besonders aufregend und schütteln nur den Kopf darüber, was andere Leute so alles umtreibt. Ein Teil dieser anderen Leute baut heutzutage schon erste Quantencomputer. Noch kann man diese Dinger nur bei -273,15°C betreiben, das macht sie unerschwinglich für den Hausgebrauch. Und wozu kann man einen Quantencomputer überhaupt brauchen? Was macht er? Was geht er mich an?

Das Geheimnis des Quantencomputers liegt in der verwirrenden Eigenschaft der Quanten, gleichzeitig verschiedene Zustände haben zu können, also Null und Eins und sogar irgendwas dazwischen, statt nur Null oder Eins. Ich kann zwar auch Zustände haben oder bekommen, aber das ist ein anderes Thema. Beim Quantencomputer werden sogenannte Qubits mit Lasern oder Magnetfeldern manipuliert. Als Qubits eignen sich Elementarteilchen, beispielsweise Elektronen. Die wohnen quasi im Speicher, und der kann zum Beispiel aus Niob sein, einem supraleitenden Metall.

Während Du diese Zeile liest, passieren im Hintergrund geheimnisvolle Dinge.

Mein Quantencomputer berechnet nämlich gerade eine Optimierungsaufgabe, und in dem Moment, in dem ich hingucke, messe ich sein aktuelles Ergebnis. Genau in diesem Moment kollabiert alles und kippt in einen definierten Zustand, den ich jetzt in Ruhe angucken kann. Jedes Ding ist dann Null oder Eins. Und alles zusammen ergibt die Lösung. Der Rechenalgorithmus, der vorgibt, wie die Qubits genau manipuliert werden, arbeitet mit Wahrscheinlichkeiten. Je mehr Operationen gelaufen sind, desto wahrscheinlicher kippen die Qubits dann in den Zustand, der die optimale Lösung zeigt.

Bevor mein Kopf jetzt ganz aussteigt: Man kann mit solchen Dingern also pfeilschnell total komplexe Sachen berechnen. Ein paar Beispiele gefällig? Optimale Wege finden und dabei alle Staus vermeiden, das Verhalten neuer Materialien unter bestimmten Bedingungen simulieren, noch schneller im Netz genau die Information finden, nach der ich suche. Es gibt auch schon Firmen, die sich vom sogenannten Quanten-Tunnel-Effekt inspirieren ließen, um auf einem Rechner ohne Quantengedöns und bei Raumtemperatur superschnell kombinatorische Probleme lösen zu können. Biologen hoffen, damit sogar Wechselwirkungen zwischen Molekülen simulieren zu können, und das hätte sicher auch einen Einfluss auf die Entwicklung neuer Medikamente. Natürlich haben Kryptographen, Finanzanalysten und viele andere Leute auch schon zahlreiche Anwendungen im Sinn. Es bleibt auf jeden Fall spannend!

So. Meinen inneren Quantencomputer habe ich gerade versehentlich angeguckt. Daraufhin sind alle meine Qubits in einen Zustand gekippt, der zusammenfassend als „Hunger“ oder zumindest „Appetit“ interpretiert werden kann. Und deshalb muss ich jetzt dringend in die Küche!

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Tom

    Lass‘ es Dir schmecken!

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