Eine anstrengende Woche neigt sich ihrem Ende zu. Vor lauter Müdigkeit vornüber in den Teller kippen gilt aber nicht! Also sehen wir liebe Menschen, vergnügen uns in Lokalen, auf dem Markt und in privater Runde zu Hause. Zum geselligen Abschluss erkunden wir noch den Kulturteil der Zeitung. Wir verabreden diverse Ausstellungsbesuche, außerdem merken wir Lokale und sonstige Ausflugsziele vor. Das steigert die Vorfreude auf die kommende Zeit. Mit schönen Plänen gerüstet, werden wir jedem Wetter trotzen.
Beim Stöbern in der Zeitung entdecke ich eine Ankündigung. Jung und Alt sind eingeladen, sich in einem Einkaufszentrum einzufinden. Dort, so verspricht der Artikel, darf ein Jeder sein Talent entdecken lassen. Hier lauert beispielsweise die Antwort auf die Frage: „Habe ich das Zeug, vor einer Kamera zu stehen?“
Nach den letzten Tagen sind meine Äuglein noch ein wenig klein. Die Verarbeitung der Infos, die ich da so lese, läuft ein bisschen schleppend. Das ist auch gut, denn sonst hätte ich einfach nur den Kopf geschüttelt und den Artikel weggelegt. So jedoch tippe ich mit dem Zeigefinger ein paar Mal geräuschvoll auf das Papier und sage einfach mal so in die Runde: „Na, wer von Euch will ins Fernsehen? Hier könnt Ihr herausfinden, ob Ihr eine tolle Karriere auf dem Bildschirm vor Euch habt!“
Natürlich ernte ich nur irritierte bis mitleidige Blicke. Schließlich sind wir alle mit dem Thema Berufsfindung schon sehr lange durch. Manche von uns sind auch schon mit der Ausübung Ihres Berufes durch und genießen nun den Teil ihres Lebens, der von eigener Erwerbsarbeit zeitlich nicht mehr eingeschränkt wird. In dieser geselligen Runde befindet sich zudem gerade niemand auf der Suche nach einer neuen Berufung.
So schnell gebe ich nicht auf. Irgendetwas an diesem Artikel hat in mir Gedanken in Gang gesetzt, die genau jetzt weitergedacht werden wollen. Also füge ich mich meinem inneren Drang und lasse die anderen daran teilhaben.
Der Fachkräftemangel ist in aller Munde, er zieht weite Kreise durch nahezu alle Branchen. Erschreckend viele Menschen haben Schwierigkeiten, einen neuen Job zu finden, auch wenn sie gut ausgebildet sind, Erfahrung und gute Zeugnisse mitbringen und sich bestimmt sehr engagieren werden. Und erschreckend viele Firmen vermelden, dass sie Schwierigkeiten haben, gutes Fachpersonal zu finden, auch wenn sie eine hervorragende Bezahlung und tolle Rahmenbedingungen in Aussicht stellen.
Ich weiß sehr wohl, dass es nicht nur tolle Leute und tolle Firmen gibt. Dennoch: Die Kunst besteht wohl darin, die richtigen Leute zur rechten Zeit mit den richtigen Firmen und den dort bereits arbeitenden Leuten zusammenzubringen. Gesucht wird, was man heutzutage einen Match nennt. Wie beim Dating.
Aus der beiderseitigen Not wurde der Quereinsteiger geboren. Quereinsteiger – das ist der neue Top-Beruf. Qualifiziert ist zunächst einmal jeder, der den Mut aufbringt, sich hier zu bewerben und sich der Herausforderung zu stellen. Verborgene Talente wollen entdeckt werden. Von dem, der sie in sich trägt genauso, wie von dem, der auf der anderen Seite des Tisches davon profitieren möchte.
Die Branche der Filmschaffenden sucht auch händeringend Nachwuchs jeden Alters. Nicht nur vor der Kamera. Die Jobs, die man vor der Kamera ausüben kann, werden meines Wissens häufig im Rahmen von Castings vergeben. Früher hieß das wohl Vorsprechen. Wer den Job will, stellt sich einer Jury und hofft, aus der Veranstaltung mit Job und ohne persönliche Demütigung wieder herauszukommen.
Man kann sogar seine Wohnung casten lassen. Ich möchte lieber nicht, dass in meinem ganz privaten Rückzugsort ein Film gedreht wird. Bitte keine Leiche in meinem Wohnzimmer! Damit wir uns richtig verstehen: In unserem Keller ist dafür auch kein Platz! Die anderen stimmen mir zu, auch sie wollen weder eine Leiche im Keller noch eine Familienkomödie in ihrem Domizil. Wenn da einer Quatsch macht, dann sind sie es selbst! Und Bilder aus dem Inneren ihres Zuhauses werden gewiss nicht über alle Fernsehschirme der Nachbarn oder gar der Verwandten flimmern, das machen sie mir sogleich unmissverständlich und mit einem leicht drohenden Unterton klar!
Es gibt wohl Menschen, die es toll finden oder fänden, wenn ihr Heim im Fernsehen kommt, berühmte Schauspieler in ihrem Bett herumturnen und die ganze Welt im Kino mitfiebert, wenn der Axtmörder in ihrem Flur zur Strecke gebracht oder das rührende Happy End auf ihrer Couch inszeniert wird.
Jetzt ist es aber an der Zeit, noch einmal kräftig mit dem Zeigefinger auf den kleinen Artikel einzudreschen. Dabei richte ich mich kerzengerade auf und gucke in die Runde, um mich der mir zuteilgewordenen Aufmerksamkeit zu vergewissern. Das Papier reißt ein bisschen ein. Ups, diese Bewegung hätte ich besser dosieren können. Schnell gilt es, das peinliche Gefühl abzuschütteln, schließlich habe ich etwas zu verkünden! Eine kleine Kunstpause sei uns noch gegönnt. Danach gebe ich mit fester Stimme bekannt: „Wenn ich da gleich zu diesem öffentlichen Casting gehe, dann geben sie mir bestimmt die Hauptrolle. Und zwar in der neuen Serie ‚Schalten Sie um! Jetzt!‘“
Liebe Miri, heute einfach mal nur Danke für deine immer wieder spannenden Stories, unermüdlich Woche für Woche!
Mauro und Gianna