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Heraus mit der Forderung

Mal ungebeten und mal gesucht kommt sie zu Dir oder zu mir, und gemeint ist heute die Herausforderung. Wie das Salz in der Suppe vermag sie, zu einem Leben ganz nach meinem Geschmack beizutragen. Ich mag Herausforderungen – allerdings längst nicht alle!

Ertappt! Es kommt nämlich darauf an, was für eine Herausforderung das schon wieder ist. Darf ich ein bisschen knobeln, um der Lösung eines spannenden Rätsels auf die Spur zu kommen? Oder geht es um eine Mutprobe? Oder vielleicht darum, mit unangenehmen Menschen oder Situationen klarzukommen? Meine erste Reaktion auf eine neue Herausforderung ist deshalb nicht immer gleich aufgeschlossen und freudig.

Von den Medien, die zu meinem großen Erstaunen immer noch als „sozial“ bezeichnet werden, bekomme ich meist nur am Rande etwas mit. Ich bin dort nicht registriert. Wahrscheinlich geht es da insgesamt gar nicht so asozial zu, wie ich das aus der Entfernung heraus immer denke. Manchmal zeigt Gitti mir ein paar Fundstücke. Sie hält sich gerne auf dem Laufenden. Die dort von anderen Leuten verbreiteten Inhalte interessieren Gitti dabei oft gar nicht so sehr. Sie möchte einfach auf der Höhe der Zeit bleiben, verstehen, wie Menschen interagieren und was die Technik an Möglichkeiten bietet.

Seit inzwischen schon sehr geraumer Zeit geistern verschiedene Challenges durch diese Medien. Dabei geht es um Herausforderungen aller Art. Die erste, von der sogar ich etwas mitbekam, war die Ice Bucket Challenge. Da kippten sich plötzlich reihenweise Leute selbst Eiswasser aus Eimern über den Kopf, ließen sich dabei filmen und nominierten anschließend jemanden, der sich dieser Herausforderung als nächster stellen sollte.

Gitti und ich fanden das zunächst sehr schräg. Wir machten uns auch Sorgen darüber, dass Menschen sich mit solchen Aktionen einen tödlichen Kreislaufschock einhandeln könnten. Irgendwann realisierten wir, dass die Ice Bucket Challenge vor allem eine Spendenaktion darstellte. Ablauf: sich selbst Eiswasser über den Kopf gießen, auf das Thema der Aktion aufmerksam machen, Geld spenden und mit der Nominierung anderer dafür sorgen, dass es weitere Spender geben wird. Die Gelder flossen an Hilfsorganisationen und wurden zur Erforschung und Bekämpfung der Nervenkrankheit ALS eingesetzt. Das Eiswasser sorgt übrigens beim damit Übergossenen für ein zum Glück nur kurz anhaltendes Gefühl der Lähmung. Wie passend! Nicht jeder, der nominiert wurde, hat sich der Herausforderung gestellt, und das ist auch in Ordnung! Unglaublich viele Menschen haben allein schon auf die Anregung hin ganz still eine Spende geleistet.

Ich höre und beklage immer noch, dass Menschen sich auf diesen sozialen Plattformen nicht immer sozial verhalten. Dennoch weiß ich, dass hier auch viel Gutes initiiert wird. Und ich hoffe, dass ich irgendwann nicht mehr wissen muss, was ein Shitstorm ist!

Letzte Woche hat Gitti mir eine kleine Notiz aus der Tageszeitung zukommen lassen. Offensichtlich geht gerade schon wieder eine Challenge um: die Hot Chip Challenge!

Glaubt Gitti, das wäre etwas für mich? Die Herausforderung besteht darin, einen ganzen, extrem scharf gewürzten Tortilla Chip zu essen. Naja, das klingt eigentlich nicht so aufregend, oder?

Aus der Zeitungsnotiz geht hervor, dass diese Challenge einen medizinischen Großeinsatz in Euskirchen ausgelöst hat. Fünftklässler haben die Tortilla-Chips aus einem Kiosk entwendet und anschließend gegessen. Der geklauten Packung lagen Latex-Handschuhe bei. Die fanden bei den Schülern keine Verwendung. Sie fassten die Dinger einfach mit den Händen an, und anschließend rieben sie sich mit den eigenen Händen die Augen. Diverse Rettungswagen und Notärzte mussten bald darauf anrücken.

Die Hot Chip Challenge wird heiß diskutiert und dient wohl ausschließlich der Vermarktung des gleichnamigen Produktes. Ich bin enttäuscht.

In der Zeitung steht, dass Erwerb und Verzehr dieser Chips erst ab 18 Jahren freigegeben sind. Im Netz finde ich den Hinweis FSK18. FSK steht dabei für die freiwillige Selbstkontrolle und hat mit der Anwendung des Jugendschutzgesetzes zu tun. Inhalte, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, dürfen ihnen nicht gezeigt werden.

Das kannte ich bisher nur bezogen auf Kinofilme. FSK16 hieß, dass der Film nur von Personen angesehen werden durfte, die ihr sechzehntes Lebensjahr bereits vollendet hatten. Diese Filme wiesen allesamt ein gewisses Maß brutaler Gewalt auf. Der Unterschied zwischen FSK16 und FSK18 bestand in meiner Erinnerung darin, ob es deutlich gezeigte Sexszenen gab.

Jetzt frage ich mich: Stehen die scharfen Chips im Supermarkt bei den Schnapsflaschen? Oder liegen sie im Zigarettenautomaten? Es gab ja mal eine Zeit, zu der Zigaretten an der Kasse in einem vergittern Regal lagen. Den Schlüssel zum Vorhängeschloss hatte nur die Kassiererin. Manchmal, wenn Hochbetrieb herrschte, hingen Schloss und Schlüssel einfach nur traurig am geöffneten Gitter. Immerhin rieten die Kassiererinnen tapfer, wie alt man wohl sei und ließen sich so hier und da auch mal den Ausweis zeigen.

Dann fällt mir wieder ein, dass die Schüler die teuren Chips einfach geklaut haben. Irgendwie gelingt es mir nicht so recht, die doofen Schüler zu bemitleiden. Aber das ist vielleicht doch ein bisschen herzlos von mir …

Gitti reißt mich aus meinen Überlegungen, ob ich nun herz- oder vielleicht sogar verantwortungslos bin, wenn mir diese Kinder einfach nicht leidtun wollen. Sie steht plötzlich mit hochrotem Kopf vor mir, reckt mir ein Knäuel hoffnungslos verknoteter Kabel entgegen und sagt nur leise ein kleines, verzweifeltes Wort: „Hilfe.“

Na, dieser Herausforderung stelle ich mich doch gerne!

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