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Nur unter Strom

Gitti und ich haben einen Kompromiss gefunden. Ich bin bei uns ja eher der Hasenfuß, der mutig einen Schritt zurücktritt, wenn er sich nicht sicher fühlt. Gitti hingegen ist stets nach vorne orientiert und will es wissen. Sie hält uns auf dem Laufenden.

Ich muss ein wenig ausholen …

Seit geraumer Zeit redet Gitti mit unserem Fernseher. Meistens spurt der auch. Manchmal jedoch schreit Gitti das Gerät an. Die Frequenz ihrer Stimme schraubt sich in solchen Situationen nach oben. Die Frustration über die unpassende Reaktion des Befehlsempfängers strapaziert ihre Geduld. Sie versucht es mit laut und akzentuiert. Es hilft nicht. Dann verlangt sie, dass ich mit dem Ding rede. Meine etwas tiefere Tonlage besänftigt den Fernseher. Er setzt um, was ich verlange – einfach so und vor allem sofort.

Für Gittis Gemütszustand ist das suboptimal. Einerseits ist sie froh darüber, dass auf dem Bildschirm endlich gezeigt wird, was sie bestellt hat, andererseits ist sie natürlich beleidigt, weil sie ihre natürliche Autorität untergraben sieht.

Zum Glück hört der Fernseher nicht ständig zu. Man muss noch einen Knopf auf der Fernbedienung drücken und gedrückt halten, um das Mikrofon und damit das Zuhören zu aktivieren. Lässt der Druck auf den Knopf nach, hört das Ding auch nichts mehr. Ich habe schon diverse Tests durchgeführt, um herauszufinden, ob ich darauf vertrauen kann. Vielleicht haben die das alles ja so programmiert, dass es nur merkliche Reaktionen gibt, wenn man das ich-drücke-auf-den-Knopf-Spiel mitmacht. Wie viel Aufwand müsste man treiben, um das zu programmieren? Nicht so viel. Und jetzt? Man kann auch wortlos auf die anderen Knöpfe der Fernbedienung drücken, um einen Kanal zu wählen. Weiß ich die Nummer, unter der ein bestimmtes Programm gespeichert ist, geht es sogar schneller als mit dem Sprachbefehl. Dann antwortet der Fernseher auch nicht mit dem üblichen Gesabbel: „Ich schalte auf …“ Schlussendlich habe ich beschlossen, nicht länger danach zu fragen.

Die neueste Errungenschaft in unserem Haushalt ist eine runde Kugel. Mit der kann man auch reden. Kurz vor unserem Urlaub ist sie bei uns eingezogen. Gleich am ersten Tag beauftragt Gitti die Kugel damit, unser Abendessen mit schöner Musik zu begleiten. Stolz preist sie den tollen Klang an, der flugs herausschallt. Gitti weiß, wie man Vorbehalte zerstreut.

Die Kugel hat keine Fernbedienung, sie hört einfach so zu – immer!!! Es gibt ein Code-Wort, auf dass sie reagiert. Ein Name. Ich bin echt froh, dass niemand in unserem Freundes- und Bekanntenkreis so heißt, wie diese Kugel! Wir essen, unterhalten uns und lauschen der schönen Musik.

Zu Beginn eines neuen Satzes nennt Gitti den Namen der Kugel und fährt fort mit: „… wird ganz schön traurig sein, wenn wir so lange nicht da sind!“ Am Boden der Kugel zuckt plötzlich bläulich grünes Licht. Dann ertönt ein: „Entschuldigung, ich bin mir nicht sicher.“

Ab hier beginne ich, meine Frieden mit der neuen Mitbewohnerin zu schließen. Einmal herzhaft gelacht, geht es schon viel besser. Lachen verbindet nämlich.

Apropos verbinden! Fernseher und Kugel haben neben der Sprachsteuerung eine weitere Gemeinsamkeit. Sie brauchen Strom. Es gibt keine Batterie. Beide Geräte hängen an einem Kabel und müssen mit einem traditionellen Stecker in eine traditionelle Steckdose gesteckt werden. Sonst geht gar nichts, ha!!!

Sobald Fernseher und Kugel jedoch unter Strom stehen, verbinden sie sich mit dem Router, horchen hinaus in die Welt, gönnen sich so hier und da ein Update und machen im Hintergrund leise irgendwas. Ich will das alles gar nicht mehr so genau wissen.

Der Kompromiss, den Gitti und ich gefunden haben, besteht darin, dass diese Geräte von uns immer dann vom Strom getrennt werden, wenn wir sie nicht mehr brauchen. Es gibt Steckdosenleisten mit extra Schalter, die helfen dabei ungemein. Gitti und ich halten das konsequent durch.

Gestern haben wir eine neue Funktion der kleinen Kugel entdeckt: Bello. Wenn man Bello aktiviert, kann man ihn bitten, zu furzen oder auch zu singen. Beides macht er dann auch, so gut er kann. Beim Singen zeigt sich seine ganz eigene Art von Textsicherheit. Ich weiß, dass gerade Sommer ist, aber Jingle Bells klingt bei Bello so: Wau-wau-wau, wau-wau-wau, wau-wau-wau wa-wau, wau-wau-wau, wa-wau-wau-wau, wa-wau-wa-wau-wau-wau, wau …!

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Tom

    Hallo Miri,

    der Stromverbrauch und das ständige Zuhören sind bei uns der Grund, warum es solche Kugeln bei uns nicht geben wird. Schön, dass sich noch jemand anderes die gleichen Gedanken macht und nicht genutzte Geräte abschaltet. Mein Kollege erzählte mal, sein Haus hat einen stand-by verbrauch von 3 kW – hier ist in der aktuellen Debatte zum Energiesparen noch viel Luft.

    Es hat ja auch schon Fälle gegeben, wo Nachbarn mit dem Namen der Frau in der kleinen Kugel Musik bestellt haben, wenn die Eigentümer nicht da waren. Da freut man sich wieder, dass es die Steckdosen mit Schalter gibt. Eine solche habe ich gerade vor mir, sie versorgt die Monitore und das Netzteil vom Laptop.

    Wie immer viele Grüße und alles Gute!

    Thomas

  2. Mauro und Gianna

    Die liebe Technik, sie hat uns viel gegeben, besonders in der jetzigen Zeit der Pandemie! Wir können uns weltweit miteinander verbinden und online arbeiten.
    Sie hat aber auch viele Menschen voneinander getrennt!
    Nicht alle sind so konsequent wie ihr beiden, die zu gegebner Zeit einfach den Stecker ziehen!
    Mit eurer Kugel durften wir schon persönlich die Bekanntschaft machen, und wir müssen sagen dass Bello schon Freude macht! 👍🏻😀

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