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Auf der Stelle

Lüften ist wichtig. Man kann zwar eher erfrieren als erstinken, aber eine gute Raumluft tut auch mir gut. Kurzum, ich öffne regelmäßig die Schotten nach draußen, so auch genau jetzt.

Ich genehmige mir einen tiefen Atemzug. Mit der Luft zusammen dringt plötzlich auch Schall in meinen bis eben so schön leisen Raum ein. Es ist Nachbarin Henni, die vermutlich gerade ihren Mann Hubsi zurechtweist: „Auf der Stelle!“

Ich zucke zusammen, als ob die Zurechtweisung mir gegolten hätte. Bereits in der nächsten Sekunde macht sich Empörung in mir breit. So war das mit dem Lüften nicht geplant! Immerhin ist es draußen jetzt wieder ruhig. Ich nehme meinen Mut zusammen und versuche noch einmal die Nummer mit dem tiefen Atemzug, von dem ich mir Erfrischung und sowohl seelische als auch geistige Stärkung verspreche.

Einatmen. Ausatmen.

Mir wird kalt. Ein paar Minuten sollte ich das jetzt schon aushalten, sonst verbessert sich die Luftqualität hier drinnen nicht wirklich. Ich entferne mich von der Öffnung nach draußen und widerstehe erfolgreich der Versuchung, alle Schotten sofort wieder dicht zu machen.

Fröstelnd, aber dennoch konzentriert, widme ich mich meiner Arbeit. Nach einer Weile reift der Entschluss, den Vorgang des Lüftens nun endlich zu beenden.

Was der Hubsi wohl wieder verbrochen hat? Normalerweise hört man statt seiner Frau Henni nur ihn. Das passiert immer dann, wenn er draußen oder bei weit geöffnetem Fenster drinnen herumwerkelt. Mitunter schimpft Hubsi lauthals. Er unterhält die ganze Nachbarschaft. Eigentlich, so wird mir wieder klar, hört man in erster Linie Hubsis laute Werkzeuge. Für Hubsi gibt es im und rund ums Haus immer viel zu tun …

Das geht mich alles nichts an! Mit etwas Mühe unterbinde ich weitere Spekulationen über den Vorfall, der sich da bei den Nachbarn ereignet hat. Meine Konzentration richtet sich wieder auf mich selbst und meine Arbeit.

Nach Feierabend bemerken Gitti und ich beim zufälligen Blick aus dem Küchenfenster, dass in unserer Straße zusätzliche Schilder aufgestellt wurden. Rund, rot umrandet, mit einem fetten roten Kreuz auf blauem Grund und mit weißen Richtungspfeilen versehen, dringt ihre Botschaft zu uns durch. Halteverbot. So ein Mist!

Ich erspähe ein ergänzendes Hinweisschild, auf dem steht, ab wann das gilt. Von hier oben aus kann ich nichts entziffern. Da hinten auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkt zurzeit mein Auto. Die fünf Fahrzeuge lange Reihe parkender Autos wird von weiteren Schildern gleichen Typs umrahmt, die ich allerdings nur von hinten sehen kann.

Ist jetzt auf der Stelle zu reagieren? Gitti und ich sind geneigt, uns auf einen gewissen Vorlauf zu verlassen, den wir bei der Einrichtung von Halteverbotszonen erwarten. Nach dem Essen halte ich es nicht mehr aus und drücke mir am Fenster nochmal die Nase platt. Gitti fragt, ob ich runtergehen oder lieber ihr Opernglas bemühen will, um herauszufinden, bis wann der Wagen umzuparken ist.

Die Wahl fällt auf die bewegungsintensivere Variante. Für einen größeren Abschnitt der Straße wird ab Montag und für die Dauer von knapp acht Wochen ein absolutes Halteverbot verhängt. Kleine weiße Zusatzschilder verbieten überflüssigerweise in der Zeit auch ein Ausweichen auf den schmalen Gehweg. Das Halteverbot wird mit einer Baustelle begründet. Mir entfährt ein sarkastisches: „Na, das kann ja lustig werden!“

Parkplätze sind bei uns rar. Dem örtlichen Parkraumkonzept folgend gliedert sich die Siedlung kleinteilig in unterschiedliche Anwohnerparkzonen. Die Zahl der Ausweichmöglichkeiten sinkt dadurch zusätzlich. Inständig hoffen Gitti und ich darauf, dass wenigstens der angegebene Endtermin eingehalten wird. Baustellen bergen ja gerne unangenehme Überraschungen …

Am Samstag sichere ich mir einen schönen Parkplatz, den ich erst am Dienstag aufzugeben trachte.

Am frühen Morgen des Montags trifft ein Pritschenwagen ein. Behände wird die Baustelle eingerichtet. Ein Teil der gegenüberliegenden Straßenseite ist nun eingezäunt. Rot-weiß gestreifte Schilder und gelb leuchtende Lampen umrahmen den Zaun. In der einen Ecke des Zaunes steht eine mobile Toilettenkabine. Der Pritschenwagen fährt wieder weg.

Ab hier müssen wir sehr tapfer sein.

Zwei Wochen lang passiert nichts. Gar nichts. Eines Mittags durchzuckt gelbes Licht unsere Küche. Draußen steht ein Baustellen-Servicemobil, drinnen stehen Gitti und ich am Fenster. Geht es jetzt los? Nein, offensichtlich hatte sich nur ein Teil des Zauns inzwischen um ein paar Zentimeter verschoben. Warum und wodurch auch immer! Jetzt steht der Zaun wieder akkurat ausgerichtet da.

Genervt überlege ich, ob es mir besser geht, wenn ich weiß, was hier geplant ist. Als mir einfällt, dass ich dann nur noch intensiver darüber nachdenken werde, ob wenigstens der Endtermin für die Baustelle gehalten werden wird, nehme ich von dem Recherche-Gedanken Abstand.

Ob der Baubeginn wohl in die dritte Woche fällt? Wie lange wird das Baustellen-Vorhaben noch auf der Stelle treten? Bei dieser Frage könnte ich auf der Stelle ausflippen!

Das erinnert mich spontan an Henni und Hubsi. Kichernd beschließe ich, lieber auf der Stelle noch eine Runde zu lüften.

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