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Fein ausgerechnet

„Und was habe ich davon?!?“ Der Satz rauscht durch meine Ohren direkt ins Hirn. Inklusive vorwurfsvollem Unterton! Er gilt gar nicht mir. Gitti und ich sind nämlich mal wieder außer Haus unterwegs. Und von Gitti kam die Frage nicht.

Ich sehe mich um. Wer den Satz gesprochen hat, erkenne ich leicht: Da steht ein offensichtlich völlig empörter Zeitgenosse. Die Hände in die Hüften gestemmt, das Kinn so weit nach vorne gereckt, dass es beim Zusehen schon an den Sehnen rechts und links der Gurgel zieht, die Mundwinkel kräftig dem Boden entgegengereckt. So hat er sich vor seiner Begleitung aufgebaut. Und die guckt ihn eine Spur mitleidig an. Sie neigt ihren Kopf zur Seite und versucht ein scheues Lächeln. Und dann sagt sie: „Nichts. Ich bin diejenige, die etwas davon hat!“ Er läuft rot an und starrt ihr in die Augen. „Obwohl, wenn ich es mir so recht überlege, dann hast Du auch was davon“, fährt sie leise fort. Siegesgewiss tappt er in die Falle: „Und was könnte das wohl sein?“ Sie dreht sich um, entschwindet und lässt ihn mit einem: „Ja, denk mal darüber nach!“ stehen. Großartig!

Er dreht sich jetzt auch um und rennt schnellen Schrittes schon mal los, schließlich will nicht er derjenige sein, der hier einfach stehen gelassen wird! Nach ein paar Metern ist damit aber auch Schluss. „Schnell weg“ reicht ihm nicht als Ziel. Wütend schnaubt der Mann vor sich hin. Die ganze Energie will in Bewegung umgesetzt werden, also zerrt er mit ruckartigen Bewegungen am Reißverschluss seiner Jacke, bekommt sie aber nicht auf. Die Temperatur unter der Jacke steigt, des Mannes Kopf leuchtet gefährlich rot. Vermutlich fühlt er sich, als ob sich die ganze Welt gegen ihn verschworen hätte. Das Zerren wird heftiger. Der Reißverschluss gewinnt. Zur Strafe stampft der Mann kräftig mit dem Fuß auf, das wandelt wenigstens einen Teil der Energie in Tatkraft um. Es schließt sich eine Kehrtwende an. Und jetzt eilt er seiner Liebsten dann doch nach.

Gitti hakt sich bei mir ein. Angeregt plaudernd setzen wir unseren kleinen Ausflug durch die Stadt fort. Etwas später kommt das Pärchen uns wieder entgegen. Immerhin halten sie sich an den Händen. Sowohl sie als auch wir bleiben stehen. Der Grund unseres Verharrens ist natürlich nicht die Neugierde! Mein Grund besteht vielmehr in dem Tropfen, der sich unterhalb meiner Nase gebildet hat und den ich nun mit einem Taschentuch daran hindern will, unkontrolliert in die Tiefe zu stürzen. Dafür muss ich aber auch erst ein Taschentuch aus der Tasche nesteln, und das geht besser im Stehen. So ganz ist der Friede bei dem Paar noch nicht wieder eingekehrt. Er schnaubt ein: „Das habt Ihr zwei Euch aber fein ausgerechnet!“ Aus dem weiteren Wortwechsel geht klar hervor, dass seine Schwiegermutter Gegenstand ihres Gespräches und vermutlich seines Problems ist. Gitti seufzt: „Pentheraphobie, wusste ich es doch gleich!“

Interessantes Wort. Gelingt es mir wohl, das bis zu Hause zu behalten, wo ich es später unauffällig nachschlagen kann? Aber: Wer nicht fragt, bleibt dumm. Das wussten schon die Macher der Sesamstraße. Also bitte ich Gitti um eine Bereicherung meines Wortschatzes. Ich erfahre sogleich, dass die Pentheraphobie die Angst vor der Schwiegermutter benennt. Ja, Schwiegermütter können schon sehr speziell sein und das Beziehungsleben ordentlich durcheinanderbringen. Wer kennt da kein Beispiel?

Ich verstaue mein Taschentuch wieder, Gitti und ich ziehen weiter. Im Geiste wünsche ich dem Paar eine gute Lösung, viel Geduld mit- und viel Verständnis füreinander. Vielleicht gibt es da ja einen Korridor für einen guten Kompromiss oder eine Hilfestellung, das Unvermeidliche gemeinsam besser ertragen und überstehen zu können.

Fein ausgerechnet, so hat er es formuliert. Er geht also von einer bereits vorab getroffenen Absprache aus. Abgekartetes Spiel, so nennen es andere. Das Schwiegermonster und des Mannes Frau haben sich verbündet, das glaubt er jedenfalls. Und zwar gegen ihn, den armen, hilflosen Tropf. Regelrecht überrumpelt, vielleicht sogar vorsätzlich in die Falle gelockt. Ist das so? Hat er damit Recht oder steigert er sich nur in etwas hinein? Geht es in Wahrheit um ein ganz anderes Thema? Gitti bemerkt, dass ich mich immer noch mit dem uns fremden Paar beschäftige. Sie sagt: „Das müssen die beiden ganz alleine herausfinden. Du kannst nicht alle retten! Aber Du könntest mit mir noch ins Brauhaus einkehren, magst Du?“

Das stimmt. Ich nehme mir vor, wenn sich das nächste „fein ausgerechnet“ auf meine eigene Zunge legt, möchte ich nochmal genau hinschauen. Also bevor ich einen großen Streit vom Zaun breche oder mich theatralisch von der Teppichkante zu stürzen drohe. Und Einkehren ist auch ein guter Plan!

Wie zufällig stehen wir auch gerade vor der Tür des Brauhauses. Hat Gitti sich das nun fein ausgerechnet? Und wenn schon! Rein ins Vergnügen!!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Thomas

    Ich kannte den Begriff Pentheraphobie zwar, aber ohne Auflösung – wie viele deiner Leser googlen den Begriff wohl nach oder während dem Lesen des Artikels?

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