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Hoch hinaus

Im Rahmen eines Ausflugs stehe ich plötzlich an der Oberstdorfer Skiflugschanze. Die Sonne strahlt mit aller Kraft. Es ist noch Sommer, und es ist heiß.

Irgendwo da links oben muss die Schanze sein. Von hier unten aus sieht man nichts davon. Dies ist die Zone, in der die Skiflieger landen. Im Winter lassen sie sich hier von den begeisterten Zuschauern für ihren tollkühnen Flug feiern. Ein breiter Wiesenstreifen durchschneidet den Wald, und es geht steil hinauf. Auf der gegenüberliegenden Seite des Wiesenstreifens liegt die Zuschauertribüne. Sie ist wie ein halbes Amphitheater quasi in die Wiese eingelassen. So ganz ohne Zuschauer wirkt die Tribüne auf mich seltsam klein. Die weitläufige Wiese ist gesäumt von Bäumen, dahinter erheben sich die Berge. Entlang des Streifens sehe ich Markierungen. Sie zeigen die Entfernung zum Schanzentisch. Aha, der steht also 250 m weiter links, vermutlich da oben auf der Kuppe des steilen Streifens. Ob man ihn wohl von der Tribüne aus erkennen kann?

Die anstehende Besichtigung der Skifluganlage wird uns wohl in recht luftige Höhen bringen. Mir ist heiß.

Ein sachkundiger Mann nimmt uns mit auf die Reise. Er weiß, dass ein paar von uns mit Höhenangst zu kämpfen haben. Wir sind nicht die ersten, die sich hier oben an ihre Grenzen herantasten. Es wird Stellen geben, an denen wir warten können, falls es uns nicht möglich sein wird, weiter aufzusteigen. Also los, dann gehen wir es jetzt an!

Am Waldesrand direkt neben dem Wiesenstreifen kommt nun ein schmaler Schrägaufzug den Berg heruntergefahren, um uns abzuholen. Er läuft auf einer Doppelschiene. Zwischen den Schienen gibt es einen kräftigen Seilzug. Die Aufzugskabine hat große Fenster. So können wir auf der Fahrt nach oben ganz viel von der Landschaft und der Anlage sehen. Es geht steil hinauf. Wir fahren am Trainerturm und am Kampfrichterhaus vorbei bis zum 72 m hohen Anlaufturm mit dem Schanzentisch. Der Turm ragt wie ein Finger schräg in den Himmel. Wir steigen aus dem Aufzug. Ich wage einen kurzen Blick nach unten. Die Aussicht ist atemberaubend schön. Um innerlich in ausreichender Distanz zur Höhe bleiben zu können, muss ich mich sehr schnell wieder vom Blick in die Tiefe lösen. Ich brauche in solchen Situationen einen optischen Anker.

Auf dieser Zwischenstation erzählt unser Fremdenführer ein paar Geschichten rund um die Schanze. Er vermittelt uns einen Eindruck, wie es bei einem Skiflug-Wettbewerb so zugeht. Nach dieser Verschnaufpause steigen wir in einen kleinen Lift um. Der ist sehr schmal und fast fensterlos. Nur eine quadratische Scheibe an der dem Berg zugewandten Stirnseite ermöglicht einen Blick auf das Seil, das diesen Aufzug nach oben ziehen wird. Innen gibt es zwei große Stufen nach unten. Nebeneinander können dicht gedrängt drei Personen stehen. Auf der obersten Stufe an der Tür stehen vier Leute eng hintereinander. Zu zehnt geht es jetzt hinauf in den Aufwärmraum.

Während eines Skiflug-Wettbewerbs warten die Sportler in diesem Aufwärmraum darauf, dass sie mit ihrem Flug an der Reihe sind. Auf einer Leinwand können sie den Wettbewerb verfolgen. Sie konzentrieren sich und treffen die letzten Vorbereitungen.

Rundum gibt es große Fenster. Wir blicken auf einen See, dessen Wasser bei Bedarf zum Beschneien der Anlage verwendet wird. Die Fenster sind geschlossen, also komme ich hier oben ganz gut klar. Der Boden schwankt fast unmerklich. Das ist der Architektur des schrägen Turms geschuldet, der ohne weitere Stütze in den Himmel ragt. Die Neigung des Turmes folgt der 39°-Neigung des Anlaufs. Inklusive Schanzentisch gerechnet, nehmen die Skiflieger auf dieser Schanze maximal 122,5 m Anlauf.

Niemals würde ich mich auf das schmale Brett vorwagen, von dem aus die Sportler ihren Flug antreten. Ich käme noch nicht mal die letzten Stufen herunter, um das quer über die Bahn gelegte Brett überhaupt erreichen zu können! Und dann hocken die da oben in luftiger Höhe, kontrollieren nochmal den festen Sitz ihrer Bindung, stürzen sich im Anschluss von dort aus todesmutig in die Tiefe, springen am Schanzentisch mit aller Kraft ins Leere und machen unterwegs eine möglichst gute Figur!

Ich wage mich jetzt noch ein Stück weiter nach oben, verlasse den Aufwärmraum und taste mich über eine Stahltreppe hinauf zur obersten Plattform. Ein laues Lüftchen umweht meine Nase. Ich blicke in die Ferne, vermeide aber weitestgehend den direkten Blick nach unten. Wir machen ein Gruppenfoto. Hoffentlich gucke ich nicht allzu konzentriert, das steht mir weniger gut als ein befreites Lachen. Hier oben ist nicht wirklich so viel Raum für Eitelkeiten.

Der Fremdenführer hat versprochen, mir auf dem Rückweg über die Freilufttreppe zu helfen. Ich bitte ihn darum, direkt vor mir zu gehen, damit ich meinen Blick in seinem Nacken verankern kann. Langsam, Stufe für Stufe, geht es wieder runter. Der Handlauf ist kochend heiß, die Sonne hat ganze Arbeit geleistet. Die Stahlwand auf der anderen Seite ist auch heiß. Egal, ich fokussiere mich, so gut es geht.

Zurück im Aufwärmraum, lässt die Anspannung nach. Meine Knie werden für einen kurzen Moment butterweich. Ich schüttle mich und wende den Blick wieder aus dem Fenster in die Ferne, schließlich habe ich beschlossen: Das ist eine total schöne Gegend hier, den Ausblick muss man einfach genießen!

Als wir wohlbehalten ganz unten wieder angekommen sind, freue ich mich auf eine kleine Erfrischung. Sich hoch hinaus wagen macht durstig!

Zwei Tage später frage ich mich noch heimlich, still und leise: Wie kann man von dem bisschen Treppensteigen in luftiger Höhe eigentlich so einen ausgewachsenen Muskelkater bekommen?!?

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Tom

    Das mit dem Muskelkater kommt von der allgemeinen Anspannung, gegen die du dich bewegen musst.

    Ich bin stolz, dass du deine Angst überwunden hast und dieses Erlebnis genießen konntest. Ich hoffe, es wurde anschließend mit einer gehörigen ausschüttung von endorphinen belohnt.

  2. Peter

    Komme erst heute zum Lesen und habe gleich Mitgefühl bei Deinem Trip, denn mir geht es ähnlich. Dabei habe ich festgestellt, dass sich das kaum legt, aus Erfahrung eben, da ich jedes Jahr in die Hochalpen reise und immer wieder meine Grenze erreiche. Gerade Hängebrücken über Täler, die fleißig schwingen, zeigen mir immer wieder was ich nicht mag. Nochmal mehr habe ich auf der 3. Etage (Troisième étage) des Eifelturms die Grenze erfahren. In luftigen 276 Meter Höhe hat man allerdings einen grandiosen 360 Grad Blick über Paris, unglaublich schön. LG

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