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Gastro-Tag

Gitti und ich bummeln durch die Stadt, die Sonne scheint und wir genießen unseren freien Tag. „Ich muss mal!“, stellt Gitti plötzlich fest. Ihr Blick spiegelt Entschlossenheit und die Stimme klingt drängend, mir ist völlig klar: Sie duldet jetzt keinen unnötigen Aufschub.

Welch ein gutes Timing, denn wir befinden uns gerade vor einem Café! Gitti erspäht einen freien Tisch auf der Terrasse und wedelt mit dem Arm. Hier können wir uns bestimmt gemütlich niederlassen. Also eigentlich kann nur ich mich gemütlich niederlassen, denn Gitti drückt mir mit einer schnellen Bewegung ihre Tasche in den Arm und stürmt sofort weiter. Mir gelingt es gerade noch, meine Hände aus den gemütlichen Hosentaschen zu ziehen und Gittis Tasche aufzufangen, die gerade auf den harten Boden zustürzt. Auf der Suche nach einem stillen Ort der Erleichterung rennt sie fast die Bedienung über den Haufen, die mit hoch erhobenem Tablett eine kleine Runde um sich selbst dreht und sich dann wieder ihren Gästen zuwendet. 

Ich mache es mir an dem kleinen Tisch gemütlich und begucke die Leute um mich herum. Die Sonne scheint mir ins Gesicht, sie setzt die kleinen Endorphinchen frei, die so gut für meine Seele sind und mein Hirn anregen. Und aus dem Hirn fällt dann auch sogleich der Begriff „Gastro“ heraus. Was fange ich jetzt damit wieder an? Na gut, Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Der Gastronom betreibt seine Gastronomie, und die kommt von „gastros“, das ist der griechische Bauch oder Magen. Die Endung „nomie“ steht für ein Fachgebiet, also geht es um die Magenkunde.

Mein Magen fühlt sich sofort angesprochen, zupft von innen an mir und knurrt leise. Er muss warten, dafür habe ich jetzt keine Zeit. Gastroenterologen, fällt mir stattdessen ein, sind zuständig, wenn es Probleme bei Verwertung und Ausfuhr der in den Magen eingebrachten Nahrung gibt. Die Gedankenreise geht weiter und landet beim Proktologen. Der ist aber erst bei hartnäckigen feststofflichen Problemen zuständig, also ganz am Ende der angestrebten Ausleitung aus dem Körper. Puh, was für ein Sch…

Ich rette mich zurück: Der Gastronom, wie wir ihn kennen, steht am genüsslichen Anfang der Magenkunde. Unter der Bauchdecke wird es wieder still, geht doch! Dann fällt mir ein, dass es auch noch die „Gastrologia“ gibt, also die Lehre von der Pflege des Bauches. Ah, die Pflege des Bauches! Ja, das klingt ganz nach dem, was wir wollen, wenn wir uns vertrauensvoll in die Hände des Gastronomen begeben.

Meine Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf meine Umgebung. Ich schaue mich um. An den kleinen Tischen sitzen viele Leute, und deren Bäuche scheinen recht unterschiedlich gepflegt zu werden, der eine mehr, der andere weniger. Hm, woran mache ich das eigentlich fest?

Am Plüschgrad wohl kaum. Ich schimpfe leise mit mir selbst: Sei nicht so platt und hör auf zu gucken, wessen Wanst den größten Umfang hat! Ist ja peinlich! Hoffentlich glauben die Menschen nicht, ich würde sie anstarren. Ich reiße meine Augen los und richte den Blick etwas höher. Vielleicht am Gesichtsausdruck? Nein, auch platt, außerdem irreführend! Aber vielleicht in Kombination mit den Klamotten? Also, damit, wie die Klamotten den Bauch umspülen, zum Beispiel locker oder pellig, und ob der Mensch dabei so guckt, als ob er in seinem Körper und seiner Kleidung gerne wohnt? Das geht nämlich unabhängig vom Umfang…

Meine Kollegin Petra behauptet immer, dass eng sitzende Kleidung auch gemütlich sein kann. In Gedanken werfe ich ihr entgegen: Insbesondere weites Tuch ist in der Lage, den Bauch wohlig zu umhüllen, ihm Raum zu geben und ihn dabei vorteilhaft zu präsentieren! Mein Magen schaltet sich wieder ein, seine Botschaft lautet: Im Bauch und speziell im Magen sollte etwas sein, was sich zu umhüllen lohnt! Wo bleibt eigentlich die Kellnerin?

Am Eingang zur Terrasse entdecke ich einen hageren Mann, der aussieht, als hätte man ihn in seinen Anzug nur hineingestellt. Das Ding scheint seinen Körper nirgends zu berühren. Wie geht denn das?!? Drei Tische von mir entfernt sehe ich einen, der hat einen etwas größeren Bauch, und er strahlt Gemütlichkeit und Fröhlichkeit aus. Ich höre förmlich meine Kollegin Claudia, wie sie über ihren Mann berichtet: „Wenn ich ein Fässle haben kann, was will ich dann mit einem Sixpack!?! Mein Mann ist plüschig, den will ich genau so, wie er ist!!“

Gitti kommt zurück, dicht gefolgt von der Kellnerin. „Hast Du schon bestellt?“ Die Kellnerin nimmt mir die Antwort ab, sie fragt näselnd: „Was darf es bei Ihnen sein?“ Gitti und ich antworten wie aus einem Munde: „Zwei Tassen Kaffee.“ Die Kellnerin näselt: „Draußen nur Kännchen!“ Ich seufze, und sage: „Gut, dann zwei Kännchen, aber bitte mit Sahne.“ „Sahne nur drinnen!“, näselt es von oben auf uns herunter. Wir ringen um Fassung, machen beide unsere offenstehenden Münder zu, dann wieder auf und bestellen synchron zwei Bier. Die Kellnerin krakelt etwas auf ihren Block, vermutlich in der Preislage von „die sind doof“, dann macht sie kehrt und entschwindet wortlos.

Gitti und ich überlegen, was wir heute noch machen wollen. Schnell wird klar, dass wir beide keine Lust haben, zu Hause Töpfe und Pfannen zu schwingen. Ein genäseltes „Zwei Halbe für die Damen!“ kündet von der Ankunft des Biers. Wir begucken noch ein wenig die Leute, schwatzen, trinken und bestellen dann die Rechnung.

Die näselnde Kellnerin fragt: „Getrennt, einzeln oder jede für sich?“ Gitti und ich antworten schon wieder synchron, diesmal mit „Zusammen!“ „Sonst merkt das fast keiner“, bemerkt die Kellnerin und schenkt uns ein warmes Lächeln. Das versöhnt uns. Wir zahlen und machen uns auf den Weg. Zuerst geht es kurz nach Hause, wo Gitti sich umkleiden möchte, dann laufen wir zu unserem aktuellen Lieblingsrestaurant.

Die Wirtin winkt fröhlich, als sie uns kommen sieht. Hier verstehen sie was von der Pflege ihrer Gäste und deren Mägen und Bäuche! Wir bestellen Vor- und Hauptspeisen und freuen uns auf den bevorstehenden Genuss.

Als wir uns der Vorspeise widmen, trifft ein Pärchen mittleren Alters ein, grüßt freundlich und lässt sich am Nebentisch nieder. Die Stimmung zwischen den beiden wirkt angespannt. Sie bemühen sich fast ein wenig zu sehr um einen freundlichen Umgang miteinander. Die Frau lächelt eine Spur unsicher und ihr Begleiter zupft an den Aufschlägen seines Hemdes herum. Ihre Blicke schweifen umher, treffen sich zwar oft, aber immer nur kurz. Bald nestelt sie an der Serviette, während er an seinen Manschettenknöpfen dreht. Das Tischgespräch der Nachbarn ist leise, und wir hören natürlich auch nicht extra zu, schließlich sind wir zum eigenen Genuss hier.

„Versöhnungsessen?“ raune ich zu Gitti herüber und weise fast unmerklich mit dem Kopf in Richtung Nachbartisch. „Du musst schon lauter mit mir sprechen, wenn Du willst, dass ich Dich verstehe!“ Gitti guckt mich auffordernd und fragend zugleich an. Ich spüre, wie das Blut beginnt, meine Wangen zu röten, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, verdient hätte ich es ja. Meine Rettung: unsere Vorspeisenteller werden abgeräumt. Es gelingt mir, meine Vermutung erneut auszusprechen, ohne dass die Nachbarn mich hören können. Gitti stimmt zu, auch sie findet das Gebaren der beiden seltsam angestrengt.

Während des Hauptgangs gelingt es mir endlich, mich von dem Kopfkino zu lösen, das sich um die Nachbarn und deren Zweisamkeit dreht, die mich ja nun wirklich nichts angeht. Als Gitti und ich bald darauf angeregt über die aktuellen Nachrichten diskutieren, ertönt aus der Küche ein spitzer Schrei, gefolgt vom lauten Geräusch klirrenden Geschirrs. Es herrscht zuerst eine Schrecksekunde lang Stille, dann ertönt weiteres Klirren und kurzes Geschrei.

„Möchtest Du einen Nachtisch?“, frage ich Gitti. Sie überlegt nur kurz, dann sagt sie: „Ja schon – wenn die noch Teller für uns haben.“

Die Frau am Nachbartisch legt derweil ganz bedacht ihr Besteck ab, tupft sich mit der Serviette über den Mund, senkt dann ihre rechte Hand sacht auf die ihres Begleiters. Sie schaut ihm direkt in die Augen, lächelt herzlich und warm, und sie haucht: „So hör doch, sie spielen unser Lied!“

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Mauro und Gianna

    Danke 🙏🏻😀….
    ….heute starten wir den Tag mit deiner Schmunzelgeschichte liebe Miriam, allerdings nicht mit Bier sondern mit Kaffee, voller Freude und Leichtigkeit bevor der Ernst des Tages beginnt!
    Danke für den kurzen Ausflug
    in die GASTRO Welt 😁🤣

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