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Das Kellerhotel

Freitagnachmittag: Es schellt an der Tür. Gitti fragt an der Sprechanlage nach dem Anliegen des Störenfrieds, da hört sie schon ein aufgeregtes: „Se han da en Weschbenneschd inn dr Kellr! Da müsset Sie was macha!!“

Im Keller gibt es einen Raum, in dem steht der Tank der Solarthermieanlage. Aus irgendeinem Grund hat vor Jahren der Schonsteinfeger verfügt, dass das Fenster nicht geschlossen werden darf. Damit das auch nicht versehentlich passiert, wurde es gekippt und mit einem fest installierten Balken gesichert. Na ja, und da verlaufen jede Menge Rohre, manche führen kaltes Wasser, andere warmes, Stromleitungen gibt es auch zuhauf. Gitti und ich gucken nur selten in den Raum. Im Erdgeschoss ist eine Arztpraxis, am Gitter vor dem Kellerfenster hat jemand einen Hund angebunden, weil der ja nicht mit in die Praxis darf. Und nun fliegen Hund und Frauchen plötzlich ganz viele Wespen um die Ohren.

Montag, früher Morgen: Eine freundliche Schädlingsbekämpferin besucht uns. Ausgestattet mit einem weißen Ganzkörperoverall mit integrierter Kopfbedeckung und einem hübschen Netz im Gesichtsbereich wirft sie sich mutig zwischen den regen Flugverkehr der quergestreiften Tierchen. „Ui, das ist aber wirklich groß!“, bestaunt sie deren Nest. Umsiedeln kann man das Nest nicht so leicht, dafür bräuchte es einen Imker und eine große, freie Fläche, die den Wespen als neuer Wohnort angeboten werden könnte. Die Wahl fällt auch angesichts der Dringlichkeit auf Mord und Vertreibung. Dann verschließt sie hinter sich die Tür und geht ans Werk.

Nach einer ganzen Weile und mit leuchtend rotem Kopf taucht der Ganzkörperoverall wieder auf. Die Tür zum Kellerraum macht die gute Frau schnell wieder zu und lehnt sich mit dem Rücken dagegen, als ob sie sich einem Ausbruch zu dieser Seite hin in den Weg stellen wolle. Die Anflugöffnungen hat sie verschlossen, so gut es eben geht, außerdem hat sie ordentlich „Material“ in das Nest „eingebracht“, bis sie selbst schier nicht mehr atmen konnte. Puh, ich fühle mich ein bisschen überinformiert. Immerhin, die meisten Wespen werden durch das geöffnete Fenster geflohen sein, der Rest …

„In vier Tagen“, so lässt sie mich wissen, „wird da niemand mehr herumfliegen.“ Dann könnten wir das Nest abräumen. Na, ich weiß nicht so recht. Im Gehen begriffen erwähnt sie noch, dass sie Kackhäufchen eines Marders gefunden hat. Na prima! Wir sind doch kein Hotel, oder etwa doch? Vor meinem inneren Auge sehe ich eine kleine Leuchtreklame, die über dem geöffneten Fensterspalt in grellen Farben blinkert, sobald die Dämmerung einbricht. Sie trägt die Aufschrift: „Fly-or-climb-Inn“

Mittwoch: In diesem Keller gibt es auch ein undichtes Abwasserrohr. Die Stelle ist schwer zugänglich, das Rohr hängt alt und rostig in der Ecke. Der zuständige Handwerker sagt sich endlich an, auf diesen Termin haben wir schon lange gewartet. Morgen Mittag will er jemanden schicken. Montag bis Donnerstag, das sind vier Tage, bis dahin sollten die Wespen kein Problem mehr sein. Also stimmen wir dem Einsatz zu. Ich erzähle ihm von der Wespennest-Aktion, schon aus Fairness. Der Handwerker will sich davon nicht abhalten lassen, schließlich ist ja gut gelüftet. „Außerdem“, sagt er, „sind meine Jungs Schlimmeres gewohnt!“

Donnerstag: Die mutigen Handwerker kommen. Im Keller liegen noch ein paar Leichen – natürlich nur die der Wespen, die sich nicht nach draußen retten konnten. Den Installateuren ist das egal, versichern sie mir wortreich. Der eine erzählt, er habe früher Ratten und Mäuse gezüchtet. Sein Kollege flüchtet mit glühenden Wangen zum Auto, angeblich, um noch mehr Werkzeug zu holen. Ich fühle mich ob der Zuchtgeschichten bald überinformiert, also wechsle ich das Thema, indem ich Kaffee anbiete und dann entschwinde, um ihn zuzubereiten. Den restlichen Nachmittag über hämmert, bohrt und klopft es im Kellerhotel. Nach abschließenden Wasserspielen packen die Handwerker ihr Zeug zusammen und machen Feierabend.

Freitag: Gitti und ich kommen vom Einkaufen zurück. Auf dem Parkplatz vor dem Kellerfenster zum Fly-or-climb-Inn steht der Arzt aus der im Erdgeschoss gelegenen Praxis und hört einen Patienten mit dem Stethoskop ab. Na, wenn dem jetzt noch die Wespen um die Ohren fliegen würden! Meine inneren Bilder verselbständigen sich sofort wieder: Ich sehe den Patienten mit hochgezogenem Pullover davonrennen, verfolgt von einem Schwarm quergestreifter Wespen. Dicht dahinter läuft unser Hausarzt mit wehendem Kittel und nach vorne gereckten Armen. Das Abhörtellerchen des Stethoskops hält er fest in der Hand, die Ohrbügel des Gerätes stecken noch links und rechts in des Arztes Ohrmuscheln. Und der Marder guckt gähnend aus dem Kellerfenster, das ist schließlich noch so gar nicht seine Zeit.

Ich bleibe mit der Einkaufskiste im Arm wie angewurzelt auf dem Weg zur Haustür stehen, verdrehe den Hals, um der imaginären Verfolgungsjagd zuzusehen und denke über Fliegengitter oder sonstige Installationen nach, die unseren ungebetenen Gästen den Zutritt zum Fly-or-climb-Inn künftig verwehren. „Was machst Du da?“, fragt Gitti, die es leid ist, noch länger für mich die Tür aufzuhalten. Also schüttle ich die Bilder ab und setze mich wieder in Bewegung. „Ja, ich komme ja schon!“

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Mauro und Gianna

    Wow….., welch ein Abenteuer in eurem Kellerhotel?
    Deutlich können wir die Bilder vor uns sehen.
    Danke für die tolle Unterhaltung, auch wenn es für euch sicher nicht ganz so spaßig war!

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