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Knochenwochen

Gitti kommt nach Hause und verkündet: „Montag geht es los!“ Sie hat sich soeben eine x-te Meinung eingeholt, ist dafür mehrere Stunden durch verschiedene Abteilungen einer Klinik gewackelt und hat eine Entscheidung getroffen. Sie lässt den Arzt, den sie da heute kennengelernt hat, mit einem Skalpell auf ihr Knie los. Und zwar am Montag, also in sechs Tagen. Ui!

Am Freitag absolviert Gitti den Vorbereitungsmarathon, läuft dabei aber nicht 42-Komma-Quetsch beschwerliche Kilometer, sondern nimmt an den restlichen Untersuchungen und Besprechungen teil, die man ihr auf den Plan gesetzt hat. Ein ganzer Arbeitstag ist dafür vorgesehen. Am Montag geht es dann ganz früh aus dem Bett, Gitti soll ja in nüchternem Zustand in die Klinik einrücken, und zwar zu einer Uhrzeit, zu der wir sonst vielleicht mal am Flughafen aufschlagen, wenn es um eine schöne Urlaubsreise geht. Weit vor Einsetzen des Berufsverkehrs machen wir uns auf den Weg, selbstverständlich unter Berücksichtigung eventueller Staus oder sonstiger Überraschungen, kurz: viel zu früh! Ich gebe sie an der Klinik ab.

Immer noch müde, fahre ich wieder nach Hause. In der Küche empfängt mich eine halb abgestürzte Lampe. Die hängt jetzt schräg unter einem der Hängeschränke. Normalerweise ist sie nicht zu sehen und beleuchtet auf manuelle Anforderung hin indirekt die Arbeitsfläche zwischen Herd und Spüle. Und jetzt hängt sie ganz traurig herab, ganz so, als ob sie Gitti vermissen würde. Mindestens so sehr, wie ich. Jetzt schon!! Eine der beiden Halterungen hat einen Ermüdungsbruch hinter sich, die andere hält sich noch wacker am Schrank fest, macht es aber auch nicht mehr lange. So ein Mist!! Ich sammle die Teile ein und suche im Keller nach geeigneten Befestigungswinkeln. Leider ohne Erfolg. Später werde ich im Baumarkt nach Ersatz suchen.

Gitti hungert und wartet vor sich hin, ihre OP verschiebt sich um ein paar Stunden nach hinten.

Ich erhalte einen Anruf und erfahre von einem Schulterbruch. Aua. So richtig blöd, schmerzhaft und mit Platten und Schrauben versorgt. Vor zwei Wochen ist ein ähnlicher Anruf bei uns eingetrudelt, dabei ging es ebenfalls um Platten und Schrauben, angebracht an eines anderen Menschen Fuß. Was ist denn bloß los in unserer Umgebung!?!

Ob Gitti mittlerweile dran ist? Mich fröstelt.

Am Nachmittag mache ich mich auf den Weg ins Krankenhaus, von Gitti habe ich seit Stunden nichts mehr gehört, also gehe ich davon aus, dass sie noch etwas benommen im Bett liegt. Als ich die Tür zu ihrem Zimmer öffne, sehe ich ein mit Folie abgedecktes Bett. Ein Schauer fährt über meinen Rücken. Ich wage mich ein wenig vor. In der Ecke hinter dem Bad steht einer der typischen, rollbaren Krankenhaus-Beistelltische, darauf liegt Gittis Brille. Auf dem Boden stehen ihre Hausschuhe. Die Schuhspitzen deuten in Richtung Tisch, die Absätze zeigen ins Leere. Da sollte Gittis Bett stehen, tut es aber nicht!

Ich suche das Schwesternzimmer und bringe in Erfahrung, dass Gitti noch nicht von der OP zurück ist. In der Nähe der Aufzüge finde ich einen kleinen Sessel, lasse mich darauf nieder und warte. Um halb fünf fährt Gitti dann im Bett an mir vorbei. Ich warte noch ein paar Minuten, dann wage ich mich wieder in ihr Zimmer. Sie ist ansprechbar, wenngleich noch nicht so richtig sortiert. Kaum bin ich drin, entert schon ein Pfleger den Raum, serviert Gitti das aufgewärmte Mittagessen und kündigt an, dass das Abendessen auch gleich kommen wird. Wir unterhalten uns eine kleine Weile, Gitti stochert tapfer in einer Lasagne herum. Bald lasse ich sie allein, sie ist erschöpft und schläft bestimmt gleich wieder ein.

Beruhigt fahre ich zum Baumarkt. Original-Ersatzteile gibt es natürlich nicht. Ein freundlicher Verkäufer sieht sich die Bruchstücke meiner Halterung an, runzelt die Stirn, sagt: „Sowas in der Art habe ich gar nicht.“ Ich überlege kurz, ob ich aus anderen Winkeln und Schräubchen einen Ersatz zusammenbauen könnte, da sagt er: „Das ist vermutlich PE. Das können sie vielleicht kleben, aber, hm, womit? Ja, dafür nehmen Sie am besten Zwei-Komponenten-Kleber, die anderen funktionieren bei PE sowieso nicht.“ Er weist mit seinem Arm in Richtung der Kassen, dann überlässt er mich meinem Schicksal. Ich finde die Klebeecke des Marktes, lese die dürftigen Angaben, die auf den Packungen stehen, mosere innerlich herum, dass die Beleuchtung heller und die Schrift größer sein könnten, entscheide mich für ein Produkt und fahre damit nach Hause.

Am nächsten Morgen meldet Gitti sich, es geht ihr ganz gut, man hat sie sogar schon aus dem Bett gejagt und ihr feierlich zwei Krücken überreicht.

Mittags trudelt bei mir eine Whatsapp mit einem Foto ein. Darauf ein Fuß, gespickt mit mehreren, nach außen ragenden Fixatoren. Aua!! Ich frage bei der Absenderin nach und erfahre von einem mehrfachen, komplizierten Bruch. Was sind das denn für irre Zeiten? Überall nur kaputte Knochen!

Mein Besuch bei Gitti ist erfreulich. Sie muss aufpassen, sich mit den Krücken nicht selbst ein Bein zu stellen. Ob das Krankenhaus mit Hilfe der Krücken Akquise für die nächsten Operationen betreibt? Na, wohl eher nicht. Gitti ist jedenfalls schon überraschend mobil. Wir finden eine möblierte Dachterrasse, auf der gibt es sogar eine Truhe mit Sitzkissen für die umstehenden Metallsessel. Die Sonne scheint, hier können wir ein wenig durchatmen. Dann wird es uns zu kalt und wir kehren ins Innere des Hauses zurück.

Zu Hause klebe ich die Halterung. Ob das funktioniert? Ich bin skeptisch. Zu Recht. Am nächsten Tag versuche ich, die Lampe wieder anzubringen. Die Klebestelle hält – natürlich nicht! Netter Versuch. Ein neuer Plan muss her. Kopfschüttelnd halte ich die lange Lampe mit nach vorne ausgestreckten Armen über der Arbeitsfläche in die Luft, dann sehe ich es vor mir: Magnete! Ja, das ist es!! Ich werde einfach gegensinnig gepolte Magnete unter den Schrank und auf die Lichtleiste kleben, und dann wird es einmal „klick“ machen und das Problem ist erledigt.

Gitti eröffnet mir bei meinem abendlichen Besuch, dass sie morgen wieder nach Hause darf. Die Visite wird um 6:15 Uhr kommen, danach kann sie eigentlich gehen. Ich bin begeistert und stelle meinen Wecker.

Die Magnete kommen endlich zum Einsatz, der Plan geht auf, es macht „klick“ und das Problem mit dem Licht verziere ich innerlich mit einem hübschen Erledigt-Häkchen.

Nach wenigen Tagen gibt Gitti die Nummer mit den Krücken auf. Sie findet die Dinger echt gefährlich und stopft sie entschlossen in den Papierkorb. Da stehen sie noch eine Weile herum, bis wir einen neuen Wohnort für sie finden. Die anderen Knochen, die in diesen Knochenwochen beschädigt wurden, heilen vor sich hin. Auf Whatsapp haben Gitti und ich mittlerweile eine Sammlung mit Röntgenbildern. Heiße Konstruktionen sind darauf zu sehen! Gitti und ich wünschen jedenfalls allen von Herzen eine gute Genesung!!!!

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Mauro und Gianna

    Wir sind jedenfalls sehr froh darüber, dass Gitti so schnell wieder laufen kann, und dass sie ihre Krücken ganz fix wieder verabschieden konnte!
    Allen anderen ebenfalls eine schnelle Heilung ihrer Knochen!

  2. Biggi

    Trotz der heftigen Knochengeschichten steckt in der Geschichte sooo viel Liebe… das tut gut in diesen Zeiten und es wird einem bewusst wie schön es ist wenn man nicht alleine ist… danke für die Story… und hoffentlich bis bald einmal….

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