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Komma gucken

Wusste ich es doch, Satzzeichen können Leben retten! Sieh selbst, wo der Unterschied ist: „Komm wir grillen, Opa!“, „Komm, wir grillen Opa!“

Mit dieser Erkenntnis muss ich erstmal Gitti erfreuen. Wo steckt sie eigentlich? Ich finde sie in der Küche, über einen Einkaufszettel gebeugt. „Genau, Grillen!“, sagt sie, als ich ihr meine Beispielsätze an den Kopf werfe. Dazu guckt sie auffordernd. Ich verstehe bald: Gitti und ich wollen grillen. Opas gibt es bei uns nicht, das mit den Satzzeichen klappt meistens ganz gut, und das Wetter ist schön. Also sollten wir loslegen. Vor dem Grillvergnügen steht der Einkauf. Na gut, dann müssen die Satzzeichen eben warten.

Einen Teil des guten Grillguts erstehen wir beim Metzger, für den Rest statten wir unserem Supermarkt einen Besuch ab. Und dort entdecke ich im Vorbeigehen, dass es eine Firma gibt, die Korona heißt. Na, gerade noch Glück gehabt, mit dem Anfangsbuchstaben K statt C? Schon, aber die stellen Elektrogeräte her. Und auf der Packung, die ich gerade entdeckt habe, lese ich: „Korona Contactgrill“, hui! Gitti ist schon wieder entschwunden. Ich mache also schnell ein Foto, dann suche ich nach ihr. Sie angelt gerade kopfüber in einer Kühltheke nach Zutaten. Als sie wieder auftaucht, halte ich ihr das Foto unter die Nase. „Was willst Du jetzt mit einem Elektrogrill?“, wundert sie sich. „Nichts, aber guck doch mal!“ „2200 Watt, meinst Du das?“ Nein, das funktioniert nicht. Mit einem beherzten „Komm mal gucken“ zerre ich Gitti zu dem Regal. Sie versteht, und sie lacht, Glück gehabt!

Zu ihrer Freude und Beruhigung leiste ich dann endlich auch einen konstruktiven Beitrag zu unserem Einkauf. Voller Vorfreude auf die Leckereien, die wir zubereiten wollen, packen wir den Wagen voll und ziehen alsbald gen Heimat. Beim Auspacken denke ich laut darüber nach, was der Plural von Grill ist: Grille oder Grills? Gitti klärt mich auf, dass es „die Grills“ sind, sonst wären die Tiere gemeint.

Die Grille gehört zu den Heuschrecken. Ich will keine Heuschrecken essen! „Wir grillen heute aber keine Grillen, oder?“, frage ich zur Sicherheit nochmal nach. Gitti rümpft die Nase und versichert, dass sie auch keine gegrillten Grillen speisen möchte. Meinen kleinen Ausflug zu den Grillen beende ich mit einem Hinweis auf Amos Dolbear, der aus der Zirprate einer in den USA verbreiteten Grille die aktuelle Temperatur berechnen konnte: „Wenn Du die Zirplaute dieser speziellen Grille fünfzehn Sekunden lang zählst und dann noch die Zahl 40 addierst, dann weißt Du, wie hoch die Temperatur in Grad Fahrenheit gerade ist!“

Wir finden die Umrechnung von Fahrenheit in Grad Celsius unhandlich und haben vergessen, wie es geht. Gitti schlägt die Formel nach: (°F – 32) x 5/9 = °C

Mit einem Schulterzucken geht es weiter.

Gitti und ich schneiden und marinieren Gemüse, rühren einen Dip aus Schmand, Sahne und frischen Kräutern zusammen, bereiten einen Salat und das restliche Grillgut vor, dann geht es raus und Gitti wirft den Gasgrill an.

Beim Essen fällt mir die Sache mit den Satzzeichen wieder ein. Ein Komma hilft mir beim Lesen dabei, den Sinn des Textes zu erfassen. Ich kenne auch nicht alle Regeln auswendig, also vertraue ich beim Rest auf mein Gefühl oder schlage nach. Andere Menschen machen das genauso. Wenn ich einen Text lese und hängenbleibe, dann liegt das oft am „Komma-Gucken“. Dann hat zum Beispiel einer ein Komma gesetzt, weil er beim Sprechen an dieser Textstelle Luft holen würde. Unabhängig davon, ob da auch eins gesetzt werden sollte! Wenn ich den Autor kenne, ihn quasi beim Lesen selbst sprechen höre, dann stolpere ich über diese Stellen seltener. Ich weiß ja so ungefähr, wann er atmet. Da gibt es ein ganz typisches und individuelles Sprechmuster. Und sogar eine typische Melodie.

Überhaupt, das ist total spannend! Aber wenn jemand mit dem inneren Salzstreuer, den er verwendet, um all die schönen Satzzeichen über den Text zu verteilen, allzu virtuos umgeht, dann kann man den Text schier nicht mehr lesen. Oder seinen Sinn nur schwer erfassen. Manchmal ertappe ich mich dabei, zu viel über den Autor und zu wenig über seinen Text nachzudenken. Ups.

Und dann fällt mir wieder ein: Ich hatte mal einen Chef, dessen Mails ich nur verstehen konnte, wenn ich sie mir selbst vorlas. Der schrieb genau so, wie er sprach. Ich stellte mir also vor, dass er spricht. Die Regeln waren ganz einfach. Eine Leerzeile mitten im Satz bedeutete, dass er tief Luft holen musste und damit eine Sprechpause entstand. Meistens diente es dem Ausdruck von Betonung, manchmal aber auch der Empörung. War etwas kursiv gedruckt, so war es eindringlich. Fett gedruckt bedeutete laut. Fett und kursiv zugleich hieß: geschrien.

Mich hat er nie angeschrien, andere hingegen durchaus. Im Geiste sage ich Danke für diese wunderbaren Stilblüten, die ich da immer wieder lesen durfte! Und ich gebe zu, meine Kollegen und ich haben uns diese Mails im Büro auch immer gerne gegenseitig laut vorgelesen. Dazu haben wir die typische Mimik und Gestik des Chefs parodiert. Ich kann mir gut vorstellen, dass er davon wusste, uns den Spaß nicht verderben wollte und seinerseits über unsere Schrullen geschmunzelt hat.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Mauro und Gianna

    Über deine Story schmunzeln wir diesmal nicht nur,
    wir denken sehr intensiv darüber nach 🤔😐
    Danke dafür……
    Jedenfalls hat der Opa nochmal Glück gehabt 🤭

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