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Irre relevant

Ein Wortschwall regnet ungefragt auf mich herunter. Nach kurzer Zeit fühle ich mich vollgequatscht. Das Thema, welches mittels des Wortschwalls so ausführlich beleuchtet wird, interessiert mich nicht. Ich versuche dennoch, aus dem Monolog einen Dialog zu machen und mich ins Gespräch einzubringen. Also warte ich auf ein Satzende, hinter dem ich einhaken und meinen Beitrag leisten kann.

Leider gibt es keine Atempause. Ohne Punkt und Komma geht es gnadenlos so weiter. Wird mein Gegenüber jemals Luft holen?

Ich mache unterdessen ein freundliches Gesicht. Immer wieder nicke ich oder schüttle den Kopf. Immerhin lassen sich einsilbige Kommentare anbringen. Dazu eignen sich die Wörter ah, oh, ach, hmmm und ui. Je nach Intonation entstehen daraus ganz unterschiedliche Botschaften. In einer Bandbreite von verständnisvoll bis ironisch tobe ich mich einsilbig aus. Dann verstumme ich vollends.

Mir schwirrt der Kopf. Inhaltlich habe ich längst den Faden verloren. Einzig der Rhythmus des Wortschwalls dringt noch zu mir vor. Mein Fuß wippt dazu im Takt. Meine Geduld verwandelt sich in ein hauchdünnes Fädchen, das bald zu reißen droht. Wegrennen ist keine Option. Wir sitzen in der S-Bahn. Vor mir liegen noch sieben Stationen. Ich will jetzt nicht einfach aussteigen und auf die nächste Bahn warten! Kann man eigentlich an der eigenen Freundlichkeit ersticken?

Leise gen Himmel gesandte Stoßgebete verpuffen unerhört. Ach, gäbe es doch in der näheren Umgebung etwas zumindest kurzzeitig Bemerkenswertes! Dann könnte ich überraschend darauf hinweisen und das Gerede jäh unterbrechen – wenigstens für einen erholsamen Moment. Leider entdecke ich weit und breit nichts. Als ich kurz davor bin, einfach etwas zu erfinden, werde ich endlich erlöst. Die S-Bahn hält. Meine Ohren laben sich an dem letzten Satz, der da lautet: „Also ich muss hier aussteigen, Tschüssle!“

Das Komma, das hier im Text zwischen den Wörtern „aussteigen“ und „Tschüssle“ steht, ist dabei natürlich nicht zu hören. Ich füge es ein, weil es mir sonst fehlen würde. Dieses Komma braucht dringend ein Zuhause!

Später heule ich mich bei Gitti aus. Sie versteht und tröstet mich. Im Anschluss schwelgen wir ein wenig in Erinnerungen an selbst erlittene Kommunikationsunfälle.

Einer davon trug sich im Frühjahr zu. Gitti wollte gerade von einer spannenden Begebenheit erzählen, die sie kürzlich erlebt hatte. Sie hub zum ersten Satz an. Darin gab es eine Stelle, an der ein Komma zu setzen war. Gitti hielt an dieser Stelle natürlich ganz kurz inne und atmete ein. Ihr Gesprächspartner nutzte die sich ihm bietende Gelegenheit umgehend. Mit fester Stimme tat er kund: „Auf jeden Fall bin ich froh, dass mein Garten jetzt gemacht ist!“

An solch einer Stelle stirbt doch jedes weitere Gespräch, oder?

Manchmal stört man auch, ohne es zu bemerken. Neulich wollten wir eine Passantin auf der Straße nach dem Weg fragen. Wir näherten uns, sprachen sie höflich an und wollten gerade unser Anliegen formulieren. Empört erstickte sie das Vorhaben im Keim. Mit ausgestrecktem Arm zeigte sie auf ein Fellknäuel zu ihren Füßen. Schwanzwedelnd lief das Fellknäuel sogleich auf Gitti zu. Ah, da ist bei dem Tier also vorne! Die Passantin funkelte uns feindselig an, stopfte wütend eine schwarze Plastiktüte zurück in ihre Tasche und zischte: „Gerade wollte er kacken!“

Zu guter Letzt erinnern wir uns noch an eine längere, sehr langweilige und sehr detailliert vorgetragene Verlaufsbeschreibung eines völlig banalen Vorgangs. Die Beschreibung kam gänzlich ohne Spannungsbogen aus. Bar jeden Argumentes und frei von Emotionen setzte uns jemand unaufgefordert über die einzig richtige Art und Weise in Kenntnis, in der eine Spülmaschine zu bestücken ist. Wir hatten bald das Gefühl, dem beschriebenen Vorgang in Echtzeit beiwohnen zu müssen. Gitti und ich fanden das irre, aber nicht relevant. Am liebsten hätten wir dem Redner die ironische Frage gestellt, ob er das nicht auch irre relevant findet. Aber dazu sind wir beide einfach zu nett – außerdem wäre unsere Frage für ihn gewiss total irrelevant gewesen.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Tom

    Ichhabe noch eine kleine Geschichte aus eigener Erfahrung zu erzählen: Ich habe erlebt, dass sich meine Mutte rund meine großmutter so unterhalöten haben. dass beide abwechselnd einen Satz sagten, in dem man sie ihre eigene Geschichte anderen erzählten – natürlich abgesehen von Rück- und Verständnisfragen. Gann hielten beide plötzlich inne, wandten sich zu mir und fragten beide: „Was meinst du dazu?“.

    Ich braucht ein wenig, um beide Geschichten zu komplettieren und dem korrekten Erzähler zuzuordnen aber ich habe es nicht geschafft meine Antwort genauso Satz für Satz passend zur jeweiligen Geschichte der jeweiligen Erzählerin zu geben.

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