You are currently viewing Kleine Recherchen

Kleine Recherchen

Ich habe mich schon sehr an die Möglichkeiten gewöhnt, die mir das Internet und all die smarten Geräte in meiner Umgebung bieten. Als Kind fand ich es nervig, wenn ich statt einer schnellen Antwort auf eine schnell mal gestellte Frage zum Bücherregal gezerrt wurde. Dort befanden sich Lexika, Atlanten und sonstige Bücher, denen ich die Antwort entlocken sollte. Meine Eltern kannten durchaus einige der Antworten, gaben sie aber nicht einfach so preis. Ihnen war wichtig, dass ich lernte, wie man recherchiert. Sie hatten Recht, und ich war genervt. So genervt, wie man als Kind eben sein kann. Sehr genervt.

In der Schule lernte ich irgendwann, die Formeln des Pythagoras anzuwenden. Der möglichst lebensnah gestellten Aufgabe, zu errechnen, wie weit der Horizont entfernt ist, wenn sich meine Augen auf einer Höhe von 1,70 m über dem Meeresspiegel befinden, konnte ich kein vitales Interesse entgegenbringen. Heute finde ich das spannender. Wie weit muss ich gucken können, um den Horizont überhaupt zu erkennen? Ändert sich das, wenn ich hoch oben auf einem Berg oder einem Turm stehe? Die einfache Antwort ist: Ganz schön weit. Und ja, es ändert sich. Und jetzt lass mich in Ruhe die Aussicht genießen!

Es gibt inzwischen jedoch immer mehr Tage, an denen ich es genauer wissen möchte. Je smarter meine Hilfsmittel, desto eher interessiert mich heute der Weg, auf dem ich mir das selbst erschließen könnte. Dann sehe ich in die Ferne und frage Gitti, welchen Radius die Erde hat. Rechnen kann ich dann auch alleine. Gitti wundert sich über solche Fragen schon lange nicht mehr. Manchmal findet sie selbst Spaß daran, nochmal nachzurechnen. Dann kann es vorkommen, dass wir am Strand sitzen und kleine Formeln in den Sand malen. Zum Beispiel, um die Formel nochmal herzuleiten, die man zur Berechnung des Volumens einer Kugel verwendet. Gitti verfolgt dabei meistens einen anderen Ansatz als ich, aber mit der Kombination unserer Ideen gelangen wir irgendwann zum Ziel. Einige Leute würden über unser Verhalten bestimmt nur den Kopf schütteln und sich resigniert von uns abwenden. Lasst einfach jedem seine Schrulle!

Neulich interessierte Gitti sich für einen Fernseher. Sie erzählte mir von der Größe und nannte dazu die Länge der Bildschirmdiagonale in Zoll. In mir ging sofort wieder die Pythagoras-Lampe an, und ich begann zu rechnen. Zuerst erinnerte ich mich daran, dass ein Zoll 2,54 cm lang ist. Dann stellte ich die kleine Formel auf, die man braucht, um die Höhe auszurechnen und setzte dabei natürlich Breite und Höhe des Gerätes passend zum Bildformat von 16:9 ins Verhältnis.

Ich beschloss, die Umrechnung von Zoll in Zentimeter lieber erst zum Schluss vorzunehmen, weil die Zahlen dann einfach länger griffig bleiben und werkelte eine Weile an dem Problem herum. Am Ende fand ich heraus, dass man auf einen guten Daumenwert für die Höhe in cm kommt, wenn man die Zollangabe durch 8 teilt und das Ergebnis mit 10 malnimmt. Und für die Breite in cm geht es gut, wenn man die Diagonale in Zoll einfach mit 2 multipliziert und dann auf das Ergebnis gut elf Prozent aufschlägt. Gitti wendet zu Recht ein, dass sich wohl niemand diese Zahlen merken wird. Na gut, man kann natürlich auch gleich im Internet nachfragen!

Ich werfe einen verträumten Blick nach draußen. Es ist schon dunkel. Am Firmament funkeln Sterne. Wie weit die wohl entfernt sind? Von der Sonne braucht das Licht nur etwa 8 Minuten und 20 Sekunden, bis ich es tagsüber hier sehen kann. Das geht ganz schön schnell! Die Sonne ist ja fast 150 Millionen Kilometer weit von der Erde entfernt, und Licht breitet sich im Vakuum mit fast 300.000 km/s aus. Beim Blick in den Sternenhimmel kann man manchmal sogar den Andromedanebel noch mit bloßem Auge erspähen. Er sieht aus, wie ein verwaschener Fleck. Was ich dann da sehe, ist unvorstellbare 2,5 Millionen Lichtjahre von mir entfernt. Das Licht braucht von dort bis hier also etwa zweieinhalb Millionen Jahre.

Welch ein Blick in die Vergangenheit! Das ist ja, als ob jemand vor 2 ½ Millionen Jahren vor Ort ein Foto geschossen und es mir dann per Post zugeschickt hätte. Und die Post hätte eben ein bisschen länger gebraucht, bis ich das verwaschene Foto endlich in Händen halten kann.

Gibt es das, was ich da leuchten sehe, überhaupt noch?

Ich komme mir gerade sehr klein und unbedeutend vor. Als ich den Gedanken mit Gitti teile, sind wir uns darüber einig, dass wir es als sehr beruhigend empfinden, so klein und unbedeutend zu sein. Klein, aber oho? Na ja. Wir Menschen richten schon genug Unsinn an! Es tut uns bestimmt gut, uns selbst nicht ganz so wichtig zu nehmen. Was wir hier veranstalten, ist für unsere kleine Welt durchaus relevant. Gitti und ich sind fest davon überzeugt, dass wir Menschen uns aufmerksam, gut und fürsorglich umeinander kümmern sollten – gerade weil wir so klein sind!

Schreibe einen Kommentar