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Telefonzelle ade

Die Nachricht schreckt mich aus dem Schlaf: Die letzten Telefonzellen werden jetzt abgebaut! Telefonzellen haben mich von Kindesbeinen an begleitet, also bin ich spontan beleidigt. Ich weiß nicht mehr so genau, wann ich sie das letzte Mal benutzt habe. Vermutlich ist das mehr als zwanzig Jahre her. Dennoch: Die können die Dinger doch nicht einfach aussterben lassen!

Ich sehe ein, dass Nostalgie kein Argument ist und widme mich wehmütig dem Schwelgen in Erinnerungen an diese Einrichtung. Die allererste Telefonzelle wurde meines Wissens 1881 in einem Berliner Postamt aufgestellt und trug den wohlklingenden Namen „Fernsprechkiosk“. Erst ab 1899 gab es Münzfernsprecher, und die konnten dann auch außerhalb von Postämtern betrieben werden.

Viele Jahre in auffälligem Postgelb gehalten, standen die Häuschen, deren Grundfläche etwa einen Quadratmeter maß, gut verteilt in Stadt und Land an den Straßenrändern herum. Sie hatten eine richtige Tür, an der Rückwand hing ein klobiger Telefonapparat, dessen schwarzer Hörer am Ende eines dicken, stahlummantelten Kabels schwer auf einer großen Gabel lastete. Ohne Kleingeld ging hier gar nichts. Oft musste ich die Münzen erst an der metallenen Seite des Apparates reiben, bevor die empfindliche Mechanik im Inneren des Gerätes sie als gültiges Zahlungsmittel akzeptierte. Eine freie Telefonzelle versprach sehr private Gespräche ohne lästige Zuhörer. Wieviele Stunden ich wohl in diesen ungemütlichen Häuschen verbracht habe? Unzählige!!

Es gab auch Ausführungen in etwas offenerer Form, die konnten dann auch von Menschen genutzt werden, für die Türen und Schwellen ein Problem darstellten. Später standen die Telefonzellen in unauffälligem Grau und Magenta am Straßenrand. Das passte zum Corporate Design der Telefongesellschaft. Man konnte dann auch Telefonkarten als Zahlungsmittel verwenden. Leider kam ich immer dann zu einem Kartentelefon, wenn ich nur Münzgeld in der Tasche hatte. Oder eben umgekehrt. Zuletzt habe ich entdeckt, dass es auch einfache Säulen gibt, die ich glatt übersehen hätte, wenn der Hörer nicht so poppig magentafarben an der Seite der schlichten grauen Säule heruntergehangen hätte.

Vandalismus war leider immer ein Thema. Die Telefonhäuschen stanken oft nach allem, was Du Dir nicht vorstellen magst. Im Inneren hingen dicke Telefonbücher aus Papier. Mancher schlug dort eine Nummer oder eine Adresse nach, wollte sie sich aber dann nicht merken und riss die Seite einfach heraus. …schloch!! Leider fand sich auch immer wieder jemand ein, der große Freude am Zündeln hatte. Dann brannte entweder das Telefonbuch, oder es explodierte ein Böller in der Zelle. Ich habe nie verstanden, was daran so lustig ist. Vielleicht ging es dabei ja auch um die pubertäre Lust an der Macht des kleinen Mannes. Ich kann etwas demolieren, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ich randaliere, also bin ich! Irgendwie so?!?

Stolze 160.000 öffentliche Telefonstandorte zählte der Deutsche Städtetag in den 90er Jahren. Mittlerweile braucht sie fast niemand mehr. Anfang 2022 gab es nur noch 14.000 Telefonzellen. Wir tragen unsere Mobilfunkeinrichtungen in den Taschen unserer Kleidung mühelos umher und kommunizieren zum Leidwesen der umstehenden Leute lauthals überall.

Letztes Jahr wurde das Telekommunikationsgesetz geändert. Damit gibt es für die Telefongesellschaften keine Verpflichtung mehr, die Bevölkerung mit öffentlichen Telefonzellen zu versorgen. Schrittweise wird jetzt alles abgebaut.

Vorhin bin ich noch schnell um die Ecke gegangen, um ein letztes Bild der geliebten, aber auch von mir zuletzt verschmähten Einrichtung zu machen. Minutenlang habe ich ungläubig auf die Stelle gestarrt, auf der letzte Woche noch unsere Telefonzelle stand.

Dann habe ich mit dem Smartphone recherchiert, ob es im Ort noch andere Standorte gibt. Aber auch da fand ich nur gähnende Leere. Traurig trollte ich mich wieder.

In Waldenbuch steht übrigens noch eine. Die ist allerdings längst außer Betrieb. Genauer gesagt, wurde ihr Zweck umgewidmet. Diese Telefonzelle heißt jetzt „Bücherhäusle“ und funktioniert wie ein öffentliches Bücherregal. Die Menschen können ihre alten Bücher hier in die eigens dafür installierten Regalbretter stellen und andere Bücher mitnehmen. Nach dem Lesen behalten Sie die Bücher, oder sie tauschen sie wieder gegen andere ein. Das gefällt mir, denn es ermöglicht ganz vielen Menschen einen unkomplizierten Zugang zu Büchern. Vielleicht finden sie Gefallen daran und möchten ein druckfrisches Buch für sich oder als Geschenk haben – und dann besuchen sie bestimmt eine Buchhandlung, lassen sich dort fachkundig beraten und sorgen dafür, dass der ehrenwerte Beruf des Buchhändlers nicht auch noch ausstirbt!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Tom

    Liebe Miri,

    ich möchte noch ergänzen, dass anfangs noch 20 Pfennig in den Telefonzellen lagen, damit man Notrufe absetzen konnte – das habe ich von meinem Vater, es war definitiv vor meiner Zeit. Die wären auch meistens entweder entwendet oder zu anderen Zwecken benutzt worden. Später wurden Notrufe kostenlos.

    Telefonhäuschen und andere Konstruktionen als offenen Bücherschrank gibt es an vielen Stellen und ich habe schon mehrfach einige davon genutzt. Allerdings sammeln wir meistens Bücher die wir nicht mehr brauchen und liefern die an anderen Stellen ab, zuletzt bei einem Flüchtlingsheim. Die meisten Bücherschränke sind nicht für Einlagerung von mehreren Kartons mit Büchern ausgelegt…

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