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Am Hals

Das Jahr ist noch jung, die Arbeit ruft. Frisch erholt stürze ich mich kopfüber hinein.

Arbeit gibt es ja nicht nur im beruflichen Kontext. Alltag, Haushalt und sogar Vergnügungen halten mindestens genauso viele Arbeiten und Aufgaben bereit, um die es sich zu kümmern gilt. Gitti und ich haben uns einen gewissen Pragmatismus zu eigen gemacht. Der hilft uns dabei, dem Stress zu entkommen, der sich gerne hinter Aufgaben aller Art verbirgt.

Stress zeigt seine hässliche Fratze immer dann, wenn es unübersichtlich wird oder die Zeit zu sehr drängt. Wir entkommen dem Stress natürlich nicht immer. In bestimmten Situationen erliegen sowohl Gitti als auch ich dem doofen Stress leider recht schnell. Das ist blöd! Genau deshalb arbeiten wir daran.

Meines Wissens gibt es zwei Arten von Stress: Disstress und Eustress. Der Disstress ist ein negativer Stress. Genau den meinen wir meistens, wenn wir uns über Stress beklagen, denn unter Disstress leidet man. Der Eustress hingegen ist ein positiver Stress. Er erhöht die Aufmerksamkeit, wirkt motivierend und kann mir sogar dabei helfen, meine Leistung zu steigern. Eustress kommt auch in Glücksmomenten auf.

Stress entspringt der Situation, in der ich auf innere oder äußere Reize reagiere. Auf Reize aller Art wechseln Körper und Seele mit Anspannung raus. Außerdem werden in der Nebenniere Stresshormone gebildet und freigesetzt. Sie stellen Energiereserven zur Verfügung und bereiten meinen Körper so auf eine bevorstehende Flucht oder einen Kampf vor. Es geht also schon los, wenn mehr Reize da sind als üblich. Mein Körper macht sofort eine Gefahr aus und schlägt Alarm. Krisenmodus! Aus dem Stammhirn werden mir vertraute Entscheidungsmuster abgerufen. Mein Großhirn kommt vielleicht gleich zu einer anderen Einschätzung, hat aber in solch einer Situation einfach weniger zu melden. Die anderen Beteiligten hören ihm nämlich gerade nicht zu. Der große Auftritt des Großhirns kommt später.

Ist das schlimm? Normalerweise nicht, denn: Eine schnelle Reaktion kann weniger optimal sein, aber lebensrettend. Wenn ich gar keinen Muskel anspanne, kann ich mich auch gar nicht bewegen. Ganz ohne Anspannung funktioniert mein Leben nicht. Oder es wird recht kurz. Stress gehört einfach dazu.

Aber eben in Maßen, nicht in Massen – und das ist kein Rechtschreibproblem!

Zum realen Problem wird Stress für mich in dem Moment, in dem die ausgelöste Anspannung zu oft auftritt oder zu groß wird. Dann habe ich kaum eine Chance, den Stress zu bewältigen, ihn auszugleichen oder ihn gar in einen Eustress umzuwandeln. Wehe jedem Klugscheißer, der mir in solch einer Situation erzählt, ich müsse mich doch nur auf das Wesentliche fokussieren und den Stress aus der Situation herauswerfen oder ihn wenigstens ignorieren!

Dem Klugscheißer werfe ich entgegen: „Hau bloß ab. Das hilft mir jetzt nicht. Ich habe genug am Hals!“ Wenn Gitti mal im Stress ist, versuche ich nicht, ihr den auszureden. Das ist despektierlich und verstärkt den Stress nur. Wenn ich kann, gehe ich ihr einfach zur Hand. Sie macht das umgekehrt auch.

Manchmal gelingt es mir, neue Entscheidungsmuster zu trainieren, wenn ich gerade nicht im Stress bin. Und die kann ich dann beim nächsten Stress abrufen. Was einmal geklappt hat, gelingt mir vielleicht auch noch ein weiteres Mal. Ich lasse mich nicht entmutigen!

Eustress und Disstress liegen übrigens ganz nah beieinander. Das bedeutet, ich bin immer nur einen kleinen Schritt vom Eustress entfernt, wenn mich der Disstress plagt. Das ist meine Chance!

Wenn es draußen nicht zu heiß ist, lege ich seit neuestem bei Stress gerne einen kuscheligen Schal um meinen Hals. Der wärmt meine Seele. Natürlich trage ich auch gerne einen Schal, wenn mir einfach nur kalt ist. Dann wärmt er in erster Linie meinen Hals und erst in zweiter Linie meine Seele. In dritter Linie ziert solch ein Schal mein Outfit ungemein, aber das sei nur nebenbei erwähnt.

Kurz bevor ich neulich den letzten Klugscheißer anschreien wollte, er solle sich verziehen, weil ich schon genug am Hals hätte, ergriff ich automatisch meinen Schal. So konnte ich zumindest meinen Ausruf noch rechtzeitig festhalten, bevor ich deshalb noch mehr Stress am Hals hätte! Und dann das: Plötzlich fühlte ich, wie weich dieser schöne Schal ist. Einen winzig kleinen Moment lang schloss ich die Augen und entfloh der Situation. Ich atmete genau ein Mal bewusst tief aus und wieder ein, öffnete die Augen und war plötzlich voller Tatendrang. Ich hatte die unscheinbare Tür zwischen Disstress und Eustress gefunden, geöffnet und durchschritten. Was für ein Gefühl!

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