Wusste ich es doch! Die Antwort lautet: „Keine Ahnung.“ Sie wird begleitet von einem nur angedeuteten Schulterzucken und einem desinteressierten Augenaufschlag. Ich könnte ausflippen!
Mein Gegenüber ist kein pubertierender Mensch im zu diesem Verhalten passenden Alter. Vielmehr handelt es sich um jemanden aus der Generation der Leute, die meiner Generation gerne Arroganz, Ignoranz und sonstiges Fehlverhalten vorwerfen – und Angst davor haben, dass ich irgendwann in Rente gehe und dann auf ihre Kosten steinalt werde.
Ich soll mich nachhaltig verhalten, meint mein Gegenüber. Mach ich doch glatt! Es kann aber sein, dass ich dabei nachhaltig zerstörerische Spuren hinterlasse. Das ist wie mit Reformen. Wenn etwas reformiert wird, so wird es erneuert, also in irgendeine andere Form gebracht. Das Wort Reform sagt nichts darüber aus, ob die neue Form dann auch besser ist als die alte! Es wird also anders, aber nicht zwingend so, wie ich es mir wünschen oder für gut befinden würde.
Warum hinterlasse ich diese zerstörerischen Spuren? Bin ich nur Teil eines großen Ganzen und kann nicht anders? Fliege ich in Urlaub, weil es mir vielleicht egal ist, ob ich damit einen Beitrag zur fortschreitenden Entwicklung des Wettergeschehens leiste? Kaufe ich mich frei, indem ich woanders Gutes tue? Das wäre dann moderner Ablasshandel. Oder bilde ich mir ein, dass mein Beitrag irrelevant klein ist? Sollen die anderen zuerst vor ihrer eigenen Tür kehren, bevor ich bereit sein werde, etwas an meinem Verhalten zu ändern? Schlimmer noch: Habe ich nur keine Ahnung, was aus meinem Verhalten folgt? Und falls ja: Könnte ich es besser wissen? Sollte ich?
So einfach ist das alles nicht. Ich denke durchaus darüber nach, was ich mit meiner Art zu leben anrichte. So hier und da ändere ich auch mein Verhalten. Aus Einsicht. Oder aus Gründen. Also aus anderen Gründen, die ich dann aber in der Diskussion nicht anführen möchte. Die Dinge sind halt komplex, und ich bin durchaus auch mal bequem.
Mein Gegenüber ist auch bequem. Es daddelt schon wieder auf dem Smartphone herum. Es versendet extrem wichtige Emojis an alle seine Freunde. Den lieben langen Tag! Mein Gegenüber streamt andauernd Serien und ist außer Haus scheinbar fest verwachsen mit Einwegbechern oder Plastik-Trinkflaschen. Alles to go, alles to wirf weg! Wenig to recycle, weil das Zeug allzu oft im Restmüll entsorgt wird!
Ich hole also zum Gegenschlag aus und frage: „Weißt Du eigentlich, wieviel Strom ein Like kostet? Und wie nachhaltig das unsere Welt zerstört?“
Tja, und da sind wir am Anfang der Geschichte. Mein Gegenüber spart zumindest Worte, die es für unnötig hält und formuliert den beliebten Zwei-Wort-Satz: „Keine Ahnung.“
Ich weiß auch nicht, wie viel Strom verbraucht wird, um den Menschen jederzeit das Absetzen und Verbreiten eines Likes oder eines Smileys zu ermöglichen. Unser Stromzähler im Keller und der Akku meines Smartphones bekommen davon nur ganz wenig mit. Beim Versenden eines Smileys fließt der meiste Strom vermutlich durch riesige Rechenzentren. Vor meinem inneren Auge sehe ich große dunkle Räume, vollgestopft mit Serverschränken. In ihrem Inneren blinken in meiner Vorstellung gerade viele kleine Lämpchen. Und das eine da vielleicht wegen meines Smileys, das in diesem Moment auf seinem Weg zu Gitti ist. Und die sitzt direkt neben mir. Ich hätte also einfach und ganz analog etwas Nettes zu ihr sagen können!
Wo Strom fließt, da wird es warm. Das vergisst Du nie, wenn Du einmal nur kurz mit dem Finger gefühlt hast, wie heiß ein dünner Kupferdraht schon werden kann, sobald auch nur eine kleine Menge Strom durch ihn hindurchfließt. Serverräume müssen stets gut gekühlt werden. Die Server laufen Tag und Nacht durch, nie ist Ruhe. Die Kühlung der Räume frisst wohl den meisten Strom.
Modernen Ablasshandel gibt es übrigens auch in diesem Kontext. Es gibt Suchmaschinen, deren Betreiber einen Teil ihres Gewinns in das Pflanzen von Bäumen investieren. Die Bäume entziehen der Luft CO2, und schon entsteht das Gefühl, dass man mit jeder Suchanfrage einen Baum pflanzt. Das schlechte Gewissen ist beruhigt. Sollte man sich jetzt noch mehr Fragen ausdenken? Um noch mehr Bäume pflanzen zu lassen? Klingt das idiotisch? Bitte verstehe mich an dieser Stelle nicht falsch, denn: Ich finde es gut, wenn Firmen Geld in das Pflanzen von Bäumen investieren – aber das stellt mein eigenes Verhalten nicht wirklich in ein besseres Licht.
Mit diesem ganzen Sermon habe ich mein Gegenüber jetzt endgültig vertrieben. Geht doch!
Pflanze ich jetzt noch schnell einen Baum, indem ich recherchiere, woher „Sermon“ kommt? Oder frage ich Gitti? Oder ein Lexikon? Nachhaltig und analog?
In diesem Moment macht sich in mir eine kleine Ahnung auf ihren Weg. Sie zieht los, festigt sich auf der Reise durch meine Erinnerungen und wandelt sich bald zur Gewissheit. Ganz arrogant und ignorant verzichte ich also auf die Bäume pflanzende Recherche, vertraue meiner Erinnerung und glaube fortan fest daran, dass es sich beim Sermon um eine Predigt handelt.