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Ein blaues Kaninchen

Es ist Samstag, das Wetter passt prima zum April und Gitti hat für unsere Freunde und uns Karten für eine Ausstellung gebucht. Heute geht es zu van Gogh. Nach dem schönen Erlebnis, das wir neulich bei Monets Garten hatten, sind wir schon sehr gespannt auf diese Ausstellung. Wieder einmal winkt ein immersives Erlebnis, also etwas zum Eintauchen.

Kaum angekommen, lassen wir uns gemeinsam auf die wunderbare Atmosphäre ein, die hier herrscht. In den nächsten zweieinhalb Stunden erfahren wir viel über den berühmten Maler, sein Leben, seine Arbeiten und auch die Widrigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte. Mit dem armen Kerl hätte ich echt nicht tauschen wollen! Umso größer ist die Dankbarkeit, die ich empfinde – für die vielen Emotionen und Eindrücke, die er uns mit der Vielzahl seiner Werke hinterließ, und ganz egoistisch auch für mein eigenes kleines Leben, durch das ich so viel unbeschwerter tanzen darf, als es van Gogh in seinem Leben wohl je vergönnt war.

Wir sehen über 500 verschiedene Bilder, präsentiert in einer multimedialen Installation, die uns immer mehr in ihren Bann zieht. Staunend bewege ich mich durch die Räume, lasse mich von den unglaublich großen Projektionen einfangen und genieße die Videoanimationen, mit denen die Multimedia-Künstler van Goghs Arbeiten zum Leben erwecken. Ich bin begeistert!

Es gibt einen kleinen Spiegelsaal. Gitti steht jetzt in der Mitte, umringt von unzähligen Sonnenblumen, die sich sanft um sie herum bewegen, begleitet von fließender Musik. Gitti und ihr Spiegelbild bewegen sich durch den Raum. Gittis Gesicht spiegelt auch etwas wider: pures Glück.

In einem der Räume sitzen wir mitten in der von ruhiger Musik untermalten Installation. Über die Wände und den Boden ergießen sich die Bilder. Manche lösen sich auf, indem gemalte Blüten scheinbar zu davonfliegenden Vögeln werden. Mandelblüten schweben zu Boden. Züge fahren um uns herum. Bleistift-Skizzen werden Stück für Stück koloriert und erzeugen so in mir fast das Gefühl, bei der Entstehung der Gemälde mit dabei zu sein.

Plötzlich taucht der gesamte Raum in die berühmte Sternennacht über der Rhône ein. Das blaue Wasser, die dunklen Segelboote, die Häuser am gegenüberliegenden Ufer und das unglaubliche Strahlen der übergroßen Sterne am Firmament umgeben uns. Alles gerät in Bewegung – und als Sternschnuppen vom Himmel regnen, wünsche ich mir spontan etwas.

Die Freunde, Gitti und ich lösen uns irgendwann aus der Szenerie und gehen weiter. Wir kommen in einen Raum, in dem wir mit Wachsmalstiften verschiedene Vorlagen ausmalen dürfen. Auch hier herrscht eine ruhige Atmosphäre. Auf Höckerchen sitzen wir nun an den Maltischen, kleine Schreibtischlämpchen spenden gerade ausreichend viel Licht. Wir malen. Sonst nichts. Ich fühle, wie sich eine tiefe Harmonie immer weiter in mir ausbreitet.

Unsere Werke scannen wir ein, und sogleich werden sie auf einer Wand projiziert. In goldenen Rahmen hängen nun die ausgemalten Bilder vor uns, wie in einer Galerie, und wir sind alle ergriffen, stehen staunend davor und strahlen uns gegenseitig an.

Im letzten Raum gibt es die Möglichkeit, sich mit Hilfe einer VR-Brille noch intensiver in die wunderbare Bilderwelt entführen zu lassen. Auf drehbaren Hockern nehmen wir bereitwillig Platz, umgeben von dunkelblauem Licht. Ein freundlicher Mann hilft mir in die VR-Brille, die mir sofort eine virtuelle Realität präsentiert. Ich lasse mich forttragen und schwebe durch die Szenerie. Schnell bemerke ich, wie sich die Perspektive mit meinen eigenen Bewegungen verändert. Mit dem Hocker kann ich mich sogar umdrehen und quasi nochmal einen Blick nach hinten werfen. Auf diese Weise sitze ich nicht nur ganz passiv da, sondern kann umherschauen, wie sonst auch.

Ich besuche van Goghs berühmtes Zimmer mit dem Bett, schwebe durch ein Dorf und eine Kneipe. Der Mann am Billardtisch grüßt, und natürlich erwidere ich seinen Gruß. Es geht hinaus in die Natur. Ich bewege mich durch Wiesen und auch durch einen Wald, in dem Hasen herumhoppeln. Oder sind es Kaninchen? Bei meiner Reise durch die großen Getreidefelder bemerke ich, dass ich einem roten Weg folge, der mich an die Straße aus dem Zauberer von Oz erinnert. Ich weiß die Reihenfolge nicht mehr, aber auch hier darf ich die Sternennacht an der Rhône ganz intensiv erleben.

Als ich wieder in der realen Welt ankomme setze ich die VR-Brille ab und entdecke Gitti, die neben mir sitzt und mich mit leuchtenden Augen anstrahlt. Unsere Freunde sind noch auf der virtuellen Reise. So stehen wir ein Weilchen herum und warten auf sie. Schräg vor uns sitzt ein Junge unter seiner VR-Brille. Er rührt sich kaum. Aber dann gerät er überraschend in Bewegung, wirbelt auf seinem Drehstuhl herum und es bricht aus ihm heraus: „Ein blaues Kaninchen?!? Wieso ist da ein blaues Kaninchen? Warum macht der blaue Kaninchen?“

Gitti und ich wechseln einen Blick und tauschen ein Schmunzeln aus. Mir entfährt ein: „Weil er es kann!“

Unsere Freunde gesellen sich zu uns. Sie gucken genauso glücklich, wie ich mich gerade fühle.

Im Souvenirshop schlendern wir ein wenig umher, dann schaut Gitti auf die Uhr und drängt uns langsam gen Ausgang. Unser Ausflug soll für alle Sinne etwas zu bieten haben. Deshalb wollen wir uns jetzt noch in einem nahe gelegenen Restaurant verwöhnen lassen. Hier hat Gitti in ihrer vorausschauenden Art für uns bereits einen Tisch reserviert.

Wir landen in einem kulinarischen Paradies – und wir bestellen mal wieder, als ob es kein Morgen gäbe! Welch ein schöner Tag!!

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