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Im Aufzug

Treppen hinauf- oder hinuntersteppen, das empfinden Gitti und ich recht unterschiedlich. Während ich beim Aufstieg für meinen Geschmack etwas zu schnell aus der Puste komme, mag Gitti den Abstieg nicht. Wir trainieren brav dagegen an, aber wir fahren auch gerne mal mit dem Aufzug.

Aufzüge sind für ihre Nutzer meistens recht langweilig. Der Technik darf man nur in ganz seltenen Fällen bei der Arbeit zuschauen. Ein Teil der Technik bleibt unseren Augen auf immer verborgen. Verglaste Aufzüge erlauben einen Blick nach draußen. Was den einen Fahrgast brennend interessiert, möchte der andere Fahrgast lieber nicht anschauen müssen. Aufzüge lösen ganz unterschiedliche Gefühle aus. Die Bandbreite der Gefühle reicht von der Faszination über die Langeweile bis zur Angst.

Ich langweile jetzt niemanden mit den vielen Vorschriften, die man beim Bau und beim Betrieb eines Aufzugs einhalten muss, versprochen! Dennoch: Ein paar dieser Vorschriften begegnen mir bei jeder Fahrt.

DIN EN ISO 7010 heißt die europäische Norm, die Rettungs-, Verbots-, Gebots-, Warn- und Brandschutzzeichen festlegt. Dazu gehört auch das Schild „Aufzug im Brandfall nicht benutzen“. Es hängt normalerweise natürlich nicht im Aufzug, sondern davor. Früher trug es meiner Erinnerung nach nur den Text, heute transportiert ein Piktogramm die Botschaft. Vor einer der vielen Aufzugtüren, die es an der Uni in Aachen gibt, hat vor ewigen Zeiten mal jemand den Text umgestaltet. Mit dickem roten Filzstift war das Wort „im“ durchkreuzt und darüber hatte der Student ein „als“ geschrieben. An „Brandfall“ hatte er ein „e“ angehängt. „Nicht“ war so dick durchgestrichen, dass man es hinter dem roten Filzstiftbalken gerade noch erahnen konnte. Zum Abschluss spendierte der Student dann noch ein fettes Ausrufezeichen. Ich kam oft daran vorbei, und immer las ich brav die neue Botschaft: „Aufzug als Brandfalle benutzen!“

Im öffentlichen Raum hinterlassen die Menschen scheinbar gerne Spuren aller Art. Der Besuch von Toiletten in Gaststätten bietet dafür offensichtlich mehr Zeit als ein kurzer Trip im Aufzug. Überall und immer wieder finden sich neue Botschaften, ob hingekritzelt oder mittels Aufkleber angebracht. Vor ein paar Tagen fiel mir ein Aufkleber auf, der kurz unterhalb der Decke an einer Seitenwand eines Aufzugs prangte. Er trug die Botschaft: „Drinking team with a soccer problem.“ Ich musste schmunzeln. Mir gefiel der Perspektivwechsel, der dem kurzen Text innewohnt, auch wenn mir exzessiv saufende und grölende Fußballfans auf die Nerven gehen.

Ich selbst habe bislang weder Toilettenwände noch Aufzüge beschmiert oder in anderer Weise verschönert. Das liegt vermutlich nicht nur daran, dass ich fast nie einen Filzstift in der Tasche habe. Vielleicht bin ich einfach nicht so mitteilungsfreudig. Oder liegt es am Respekt, den ich gegenüber den Dingen und anderen Menschen empfinde?

Gitti und ich gönnen uns gerade nochmal eine kleine Auszeit. Tagelang benutzen wir immer wieder denselben Aufzug. Ein ewiges Auf und Ab. Der Innenraum des Aufzugs ist schmal. Seine Länge wird durch einen Spiegel an der Rückwand optisch vergrößert. Auf den Fahrten in diesem Aufzug begleiteten uns immer wieder fremde Menschen. Fast alle werfen einen prüfenden Blick in den Spiegel. Einige davon zupfen danach ein wenig an ihren Klamotten herum, andere ziehen den Bauch ein, manche optimieren noch schnell ihre Frisur. Im Anschluss fixieren wir gemeinsam die Anzeige, die uns darüber aufklärt, in welchem Stockwerk wir uns momentan befinden.

Auf einer dieser Fahrten lasse ich meinen Blick über die offiziellen Hinweise schweifen, die an den Wänden der Aufzugskabine angebracht sind. Ich staune nicht schlecht. Neben den Knöpfen, mit deren Hilfe man wählen kann, in welche Etage die Reise gehen soll, hängt ein Display. Es zeigt 1200 kg und 14 Personen an. Eine kleine Bestandsaufnahme ergibt, dass wir gerade zu viert im Aufzug sind. Ich schaue Gitti direkt in die Augen. Als sie meinen Blick erwidert, schwenke ich meine Augen zurück gen Display und lade Gitti anschließend mit einer gezielten Kopfbewegung und einem aufmunternden Augenaufschlag dazu ein, sich die Zahlen anzusehen. Gitti staunt. Sie mutmaßt, dass in diesen kleinen Aufzug maximal 6 erwachsene Personen passen. Die Dame neben ihr streicht sich daraufhin von oben nach unten über den kleinen Bauch und guckt ein bisschen schuldbewusst. Ihr Gatte fixiert lieber einen Punkt auf dem Fußboden. Beide schweigen.

Unterhalb der Stockwerksanzeige, aber noch oberhalb der Bedienleiste mit den Knöpfen erspähe ich ein Schild. Darauf wiegen 8 Personen 630 kg. Links daneben ist ein weiteres Schild angebracht worden. Die maximal zulässige Anzahl an Personen beträgt auf diesem Schild ebenfalls 8, aber sie dürfen gemeinsam 1000 kg wiegen. Gitti grinst. Hinter ihrer Stirn kann ich deutlich eine schier unlösbare Textaufgabe lesen.

Ich brauche eine Weile, aber dann stelle ich fest: „Wenn jede der 8 Personen gleich beim Abendessen nicht viel mehr als 46 kg zu sich nimmt, kommt es noch hin. Dann dürfen alle gemeinsam wieder nach oben fahren.“

Unsere beiden Begleiter starren nun gemeinsam auf den Fußboden. Gitti kichert. Der Aufzug hält an, die Türen öffnen sich und wir wünschen den Mitreisenden einen guten Appetit. Was wohl heute auf dem Speiseplan steht?

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