Ich höre gerne zu. Zuhören können gehört zu meinen Stärken. Manchmal geschieht es ganz nebenbei, geradezu unfreiwillig. Heute zum Beispiel. Da sitze ich nach einem kleinen Stadtbummel mit Gitti zusammen in der Bahn und lausche zufällig den Gesprächen der Menschen, die so um uns herum Platz genommen haben. Gitti tut es mir gleich. Sprachlos genießen wir das Schauspiel, das uns geboten wird. Unsichtbares Theater könnte nicht schöner sein …
Auf drei der vier Sitze jenseits des Mittelganges haben zwei Jungs im geschätzten Alter von dreizehn Jahren und ein junger Mann Platz genommen, der maximal dreißig Jahre alt sein dürfte. Der junge Mann ist sehr attraktiv. Seine schlanke Gestalt unterstreicht er mit einer schwarzen Jeans, einem blütenweißen, perfekt sitzenden Oberhemd und weißen Sneakers. Sein Teint ist so dunkel wie die Jeans. Die beiden Jungs sitzen ihm gegenüber. Ihr Outfit ist derart unspektakulär, dass ich mich später nur noch an die blöden Schirmmützen erinnern kann, die sie natürlich mit dem Schirm nach hinten auf ihren Köpfen tragen. So ein Doofen-Käppi steht fast niemandem wirklich gut und den beiden hier sogar überhaupt nicht. Die Jungs wirken reichlich grün hinter den Ohren. Sie daddeln eine Weile auf ihren Smartphones herum. Dann beginnen sie ein Gespräch mit dem jungen Mann.
Der arme Kerl wird in den folgenden Minuten ausgefragt, als hätten die Jungs noch eine Hausarbeit zu erledigen, der sie sich nun doch mit voller Kraft widmen wollen. Einer der Jungs hält dem Mann bald sein Smartphone hin. Die damit verbundene Frage kann ich leider nicht verstehen, weil sich ausgerechnet jetzt ein anderer Fahrgast seinen Weg durch den Mittelgang bahnt. Endlich ist er an unseren Plätzen vorbei. So können Gitti und ich nun den Fortgang der Szene verfolgen. Der Mann guckt interessiert auf das Display des Jungen, dann nickt er lächelnd. Des Jungen Blick mutet plötzlich ehrfurchtsvoll an. Aufgeregt setzen sein Freund und er ihr Interview fort. Es fällt der Begriff TikTok. Die Köpfe unter den Schirmmützen nehmen eine erregt rosige Farbe an.
Weitere Menschen schieben sich durch den Gang. „Störenfriede, so verzieht Euch doch!“, denke ich leise vor mich hin. Endlich werde ich erhört. Nebenan steht inzwischen ein monatlicher Betrag von 500 € im Raum. Die Jungs sind schwer beeindruckt. Sie fragen: „Und was machen Sie sonst so?“ Wir erfahren, dass der junge Mann den ehrenwerten Beruf des Altenpflegers ausübt. Leider muss er die Bahn an der nächsten Haltestelle auch schon wieder verlassen. Sie verabschieden sich höflich voneinander.
Die auf den Plätzen zurückgebliebenen Kinder tippen und wischen ein paar Minuten lang wortlos auf ihren Displays herum. Einer der Jungs hofft noch darauf, dass der bis eben noch Mitreisende ihm künftig im Netz folgen wird, schließlich hat er ja jetzt seine Kontaktdaten. Einige Wisch- und Klickbewegungen später folgt jedoch sein Aufschrei: „Ey Digger! Das glaubst Du nicht! Der hat uns veraaarscht!!“ Beide Jungs starren auf das Display. „Digger, das ist der nicht! Der hat uns veraaarscht, Digger!“ Gitti guckt mich amüsiert an. Jetzt springt der Junge sogar auf, präsentiert seinem Freund erneut das Display und ruft: „Guck doch, das ist der nicht! Digger, das ist der nicht! Der hat doch was ganz anderes an!!“
Gitti und ich brechen in lautes Lachen aus. Digger und sein Freund bemerken es nicht. Sie sind gerade damit beschäftigt, sich gegenseitig Dummheit vorzuwerfen. Beide schlagen sich mehrfach mit der flachen Hand auf die eigene Stirn. Gitti und ich lachen derweil weiter. „Logisch!“, bringt Gitti unter Tränen hervor. „Der hat eine andere Jacke an, und deshalb kann er nicht derselbe sein! Ich kann nicht mehr!! Ich ziehe mich zu Hause gleich um, hihi, und dann kannst Du mal gucken, wer ich dann bin!!!“ Gitti rutscht fast vom Sitz.
Am Abend spielen wir mit dem Wortfetzen: „Digger, der hat uns verarscht!“ Selbstverständlich mit ganz langgezogenem a im veraaarscht. Gitti und ich entdecken, wo man das alles einsetzen kann. Digger, haben wir einen lustigen Abend!! Deshalb geht jetzt auch ein herzliches Danke an Digger und vor allem an den Freund von Digger!
Digger, was für eine gute Geschichte!
Ich habe dir schon in Aachen erzählt: Die Summe der Intelligenz ist Konstant die Bevölkerung wächst. Digger und sein freund können nichts dafür, sie sind quasi Opfer ihrer späten Geburt…
Ja 👍🏻🙏🏻😂……
….wieder mal eine echt gelungene
Schmunzelgeschichte hi hi hi ……