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Von stillen Orten

Wenn Gitti und ich unterwegs sind, kommt es vor, dass wir zwischendurch einkehren. Nicht immer treibt uns dabei der Gedanke an, sonst zu verdursten oder zu verhungern. Manchmal zieht ein verführerischer Duft magisch an unserem Bewegungsapparat und dirigiert uns geradewegs in die gastliche Stätte. An einem anderen Tag winkt ein Lokal einfach mit einer gemütlichen Atmosphäre, der wir uns spontan hingeben wollen. Heute ist es mal wieder die Erkenntnis, dass der baldige Besuch eines stillen Örtchens für uns unabdingbar ist.

Die stille Übereinkunft zwischen Gast und Wirt sieht vor, die Gaststätte seitens des Gastes nicht einfach als öffentliche Bedürfnisanstalt zu missbrauchen. Als Gast gehört es sich einfach, wenigstens etwas zu konsumieren. Leise frage ich mich, wie viele Tassen Kaffee ich wohl in meinem Leben schon getrunken habe, nur um meiner Begleitung oder mir selbst am stillen Örtchen der gastlichen Stätte Erleichterung verschaffen zu können.

Der Kaffee wird mich zeitversetzt natürlich wieder zu einem Abort treiben, zu welchem auch immer. So ist halt der Lauf der Dinge. Genug der Ursachenforschung!

Ein Gastwirt, der etwas auf sich hält, gestaltet seine Toilettenräume ganz bewusst. Er tut gut daran. Dieser Teil seiner Räumlichkeiten ist auf eine bestimmte Art eben auch Teil seiner Visitenkarte. Hier kann er zeigen, wie wohl sein Gast sich bei ihm fühlen soll. Ist Dir schon mal aufgefallen, auf welche Weise die Leute einander von Lokalbesuchen erzählen? Sie erwähnen auf jeden Fall, ob es ihnen geschmeckt hat, wie sie den Service fanden und in welchem Zustand die Toiletten waren. Ich seufze. Scheinbar sind wir so!

Beim Aufsuchen fremder stiller Örtchen habe ich durchaus auch schöne Momente erlebt.

Als wir nach dem Corona-bedingten Lockdown endlich wieder die Innenräume von Gaststätten betreten durften, suchte ich nach einem ausgezeichneten Mahl die Toiletten eines indischen Restaurants auf. Der Wirt hatte die Zeit genutzt und in diesem Teil seines Lokals eine Modernisierung angestoßen. Neue Kacheln, neue Keramiken und neue Spiegel ließen die Räumlichkeiten in neuem Licht erstrahlen. Einzig die Trennwände zwischen den Schüsseln fehlten noch. Uns so konnten die Damen in einem schönen großen Raum zwischen mehreren Schüsseln wählen. Soll es die sein, von der aus die Tür am besten zu sehen ist, die neben dem Wickeltisch oder doch lieber die unter dem Fenster? Selbst eine kleine Konferenz wäre möglich gewesen. Ich bin an einem solchen Ort ja lieber alleine und möchte bei der Gelegenheit wenigstens einen kleinen Moment der Stille erleben.

An einem größeren Veranstaltungsort in unserer Nähe entdeckte ich einmal eine schier unendliche Reihe an Türen. Das war ein sehr trister und sehr dunkler Abort. Erhellend fand ich jedoch, dass hinter einer der Türen überraschenderweise nur ein Pfeiler stand, der die Kabine so ausfüllte, dass einfach kein Platz für eine Schüssel vorhanden war. Die Türfronten gaben den Standardabstand vor, und hier blieb also einfach eine nutzlose Kabine in Standardbreite, in der man jedoch noch nicht einmal Putzgeräte hätte unterbringen können. Bestimmt fluchen die Reinigungskräfte täglich nach Kräften über die sinnlos umständlich sauber zu haltende Ecke.

In Büros hängen traditionell mehr oder weniger lustige Anleitungen, die uns veranschaulichen, wie eine Klobürste zu handhaben ist – und wie eben nicht. Scheinbar ist es unter Kollegen nicht selbstverständlich, dass man einen Ort so verlässt, wie man ihn vorzufinden wünscht. Ich wende mich gerne wieder den erfreulicheren Erlebnissen zu.

Während des Studiums stand bei mir zu Hause am stillen Örtchen ein Zeitungsständer. Darin stellte ich meinen Gästen die Gesamtausgabe von Asterix, einige MAD-Hefte und manchmal auch ein Taschenbuch zur Verfügung. Das war als aufmerksamer Service zur Überbrückung überraschend anfallender Zeiten gedacht und wurde allseits goutiert.

Bei unserem heutigen Ausflug hat uns die Vernunft ins Lokal getrieben. Eigentlich wollen wir ja nur zur Toilette, und aus lauter Anstand werden wir vorher etwas trinken. Wir nehmen an einem gemütlichen Tisch Platz. Die Speisekarte verführt Gitti und mich zur spontanen Bestellung frisch zubereiteter Flammkuchen. Ein leckerer Riesling wird den Verzehr der herrlich duftenden Flammkuchen gleich begleiten. Au fein! Kaffee wird überschätzt! Wir sehen uns um und freuen uns über die heimelige Ausstrahlung, die wir sowohl der Wirtin als auch ihrem Lokal zuschreiben.

Nach dem Essen freue ich mich sehr über die ausgesprochen liebevoll gestaltete Damentoilette. Der ganze Raum hat einen wohnlichen Charakter. Es duftet zart und unaufdringlich. Allein das ist schon toll. An den Wänden hängen kleine gerahmte Postkarten mit Sprüchen, die zum Nachdenken und Schmunzeln anregen. Dazu gehört ein Ausspruch Abraham Lincolns, der die Henne für das klügste Geschöpf im Tierreich hielt. Die Henne gackert nämlich erst, wenn das Ei bereits gelegt ist. Ein anderer der Sprüche geht so: „Manchmal würde ich ja gerne das Handtuch werfen. Aber dann hätte ich ja noch mehr Wäsche.“

Machen wir es kurz – ich halte mich an diesem stillen Ort etwas länger auf als nötig. Gitti bemerkt nach meiner Rückkehr zum Tisch sofort das Lächeln, welches meine Mundwinkel umspielt. Gespannt macht auch sie sich jetzt auf die Socken und kehrt alsbald ebenfalls lächelnd von ihrer Entdeckungsreise zurück.

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