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Im Rausch der Sinne

Es ist Freitag. Mit großen Schritten, in meinem Fall also mit flinken Mausklicks und hurtigen Tastenanschlägen, nähere ich mich dem wohlverdienten Wochenende. Einer Kollegin sende ich noch schnell eine letzte Mail, dann fahre ich den Rechner herunter, trenne alle Gerätschaften vom Strom und eile zu Gitti. Gemeinsam fahren wir heute mal wieder zu einer immersiven Ausstellung.

Diesmal geht es um die Werke, die Gustav Klimt geschaffen hat. Spontan denke ich an einige Bilder aus Klimts goldener Phase. Sie sind opulent, mit Blattgold überladen und dabei unglaublich ausdrucksstark. Gitti hat vor einigen Jahren ein paar Porzellanbecher und eine Kanne erstanden, die Klimt-Motive aus dieser Zeit tragen, darunter den berühmten Kuss. Ich finde sie grenzwertig kitschig, muss aber zugeben, dass sie mich gleichzeitig faszinieren.

Ich freue mich schon sehr auf die Ausstellung und bin gespannt, was uns erwartet. Eine Freundin begleitet uns. Größere Teile des Berufsverkehrs können wir umfahren. Gitti hat ein Einlass-Zeitfenster gebucht, das wir deutlich verfehlen, denn wir sind reichlich zu früh dran. Heute ist hier gar nicht so viel Andrang, wie wir erwartet hätten. Eine freundliche junge Frau lässt uns mit einem Augenzwinkern jetzt schon in die Ausstellung. Flugs entledigen wir uns unserer Jacken, und dann tauchen wir bereitwillig in die bunte Welt des Künstlers ein.

Klimt malte und feierte auf diese Weise zahllose Frauen mit all ihren Ecken und Kanten, ungeschönt und dennoch stets voller Respekt. In der Ausstellung erfahre ich mehr über die Motive, mit denen Klimt den berühmten Beethovenfries mitgestaltet hat. Diese bildliche Verarbeitung der Themen aus Beethovens 9. Symphonie berührt mich sehr. Wir bewundern außerdem Klimts Fakultätsbilder, die eigentlich den großen Festsaal der Wiener Universität schmücken sollten, dann aber doch von den Fakultätsmitgliedern abgelehnt wurden. Seine Darstellungen der Philosophie, der Medizin und der Jurisprudenz entsprachen den Erwartungen der konservativen Auftraggeber nicht. Sie lösten sogar einen handfesten Skandal aus. Später verbrannten diese Bilder. Anhand noch vorhandener Schwarz-Weiß-Aufnahmen und mit Hilfe künstlicher Intelligenz gelang es, sie in Farbe zu rekonstruieren.

In einem anderen Raum erwartet uns eine große Videoinstallation. Sie ist mit Musik untermalt. Man entführt uns in wunderbare Landschaften und ich versinke in all den farbenfrohen Tupfen, die mich beispielsweise einen großen Apfelbaum nicht nur erahnen, sondern eben auch erspüren lassen. Alle sitzen mitten in den Bildern und erleben die unterschiedlichen Schaffensperioden des Künstlers auf eine ganz besondere Weise. Ich gerate in einen Rausch von Farben und Gefühlen.

Nach dem Ausstellungsbesuch wandern wir still zu einem nahe gelegenen vietnamesischen Lokal. Die Atmosphäre gefällt uns auf Anhieb. Ein köstlicher Duft erfüllt das gesamte Restaurant. Aus der Küche dringen typische Gargeräusche. Der Chef des Hauses kommt an unseren Tisch und fragt, ob wir Fisch mögen. Und dann fleht er uns fast an, doch bitte die Speisekarten, die seine Frau uns gerade eben erst ausgehändigt hat, wieder herzugeben. Er möchte für uns einen Fisch zubereiten. Mit ganz viel Gemüse. Und vorher soll es eine leckere Suppe geben. Bitte, der Fisch ist ganz frisch! Natürlich hat er auch Ente auf der Karte. Aber das ist nicht vietnamesisch, und er bietet die Ente nur an, weil die Leute ständig danach verlangen. Ein Wolfsbarsch wird es sein, ganz lecker und ganz frisch zubereitet! Wir hätten heute alle drei keine Ente bestellen wollen, aber wir möchten die Karte wenigstens einmal lesen dürfen.

Besorgt entfernt sich der gute Mann und lässt uns Zeit. Unsere Freundin, Gitti und ich können dem Angebot einfach nicht widerstehen. Wir werden uns auf das Abenteuer mit dem frischen Wolfsbarsch einlassen. Die Dame des Hauses nimmt unsere Bestellung entgegen, und im Hintergrund kann ich sehen, wie ihrem Mann darüber die Freude ins Gesicht springt. Unglaublich!

Es dauert eine Weile. Dann kommt eine herrlich duftende, ganz köstlich schmeckende Suppe. Nach der Suppe tauschen wir uns noch einmal über unser Ausstellungserlebnis aus – bis eine riesige Platte an den Tisch gebracht wird. Auf ihr liegt ein ganzer Wolfsbarsch, gehüllt in eine appetitliche Kruste, umlegt mit reichlich Salat, kleinen Tomaten, ein paar Algen, diversen Früchten, Paprika und vielem mehr. Außerdem gibt es eine bunte Gemüsepfanne und verschiedene Dips. Der Barsch wird von der Dame des Hauses liebevoll filetiert.

Uns gehen die Augen über. Jetzt fallen wir gemeinsam in einen Rausch der Sinne, dieses Mal in einen kulinarisch geprägten. Wir spüren den Elementen der Geschmackskomposition nach, entdecken Stück für Stück die reichhaltigen Zutaten und freuen uns über die harmonisch aufeinander abgestimmten Gewürze. Den Rest des Abends stammeln wir eigentlich nur noch so Zeug wie: „Das ist echt unglaublich!“ Und: „Hmmm, köstlich!!“

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