Bist Du auch ständig dabei, im Kopf irgendwelche Dinge einzuordnen? Ich sehe oder höre etwas, und schon geht es los: Wie groß ist das? Wieviel Zeit braucht man dafür? Interessiert mich das oder kann es weg? Muss ich reagieren? Was fange ich jetzt damit an?
Der Prozess des Einordnens und Bewertens von Wahrnehmungen startet dabei eigentlich immer automatisch. Er nimmt Fahrt auf, ohne dass ich es bewusst bemerke. Der Grund: Mein Unterbewusstsein und das vegetative Nervensystem kümmern sich permanent darum, von außen kommende Reize zu verarbeiten. Die machen auch nicht lang rum, die reagieren einfach schon mal. Das ist auch gut so! Sie schützen mich nämlich davor, mir die Finger zu verbrennen, indem sie dafür sorgen, dass ich meine Finger ohne stundenlanges Nachdenken und Abwägen einfach wegziehe, wenn es zu heiß wird. Ohne diese unbewusste Steuerung meiner selbst hätte ich keine Chance, den Alltag zu überleben.
Den Sprung in die von mir bewusst erlebte Welt schafft also vermutlich nur ein winzig kleiner Bruchteil dieser Reize, und zwar schon in vorverarbeitetem Zustand. Erst dann bekomme ich so richtig mit, was läuft. Sofort mische ich mich bewusst in die weitere Verarbeitung ein und versuche mich in der Kunst der Informationsgewinnung. Außerdem hinterfrage ich vielleicht noch einmal die Entscheidung, die ich jetzt spontan treffen würde. Ich leiste mir den Luxus, mich weiterzuentwickeln. Es macht mir Freude, die Dinge mal aus einer anderen Perspektive heraus zu betrachten oder einfach nach ungewöhnlichen Eindrücken zu suchen, die ich sonst glatt übersehen würde.
Ja, und manchmal entdecke ich dabei kleine, kostbare Überraschungen. Du willst ein Beispiel? Na gut!
Gitti und ich wandern gerade am Strand entlang. Ich bleibe spontan stehen, drehe mich um und schaue kurz zurück. Mir fallen die Spuren auf, die wir beim Laufen so kurzfristig im Sand hinterlassen. Die nächsten Wellen werden sie wieder wegspülen. Das finde ich prima. Meine Spur verrät, dass meine Füße beim Laufen immer wieder ein bisschen nach außen zeigen. Vielleicht sollte ich weniger watscheln. Ich beschließe, jetzt mehr darauf zu achten, die Fußspitzen in die Richtung zeigen zu lassen, in die ich gehen möchte. Für die nächsten Meter werde ich meine Aufmerksamkeit dem zielstrebigen Gang widmen.
Gitti ist derweil weitergelaufen. Jetzt dreht sie sich um und guckt mich fragend aus der Ferne an. Ich wedle mit dem rechten Arm und zeige auf die Spuren. Gitti ist zu weit weg, als dass sie erkennen könnte, was mich da schon wieder umtreibt. Ich versuche es mit einer kleinen pantomimischen Einlage. Mit ausgestrecktem Finger zeige ich nochmal auf die Spur, dann zeige ich auf mich selbst. Auf Brusthöhe lasse ich nun meine beiden Hände durch die Luft auf Gitti zu watscheln. Dann drehe die nach außen zeigenden Fingerspitzen nach vorne und wiederhole die Laufbewegung mit den Händen, nur dieses Mal halt ohne das Watscheln. Dabei mache ich ein fröhliches Gesicht. Gitti schüttelt ungläubig den Kopf. Ob sie die Pantomime entschlüsselt hat? Ich weiß es nicht, halte es aber durchaus für wahrscheinlich.
Gitti winkt mich zu sich. Ich setze mich wieder in Bewegung, sie soll nicht dauernd auf mich warten müssen! Laufe ich jetzt eleganter? Beim Hinuntersehen auf die eigenen Füße bin ich durchaus geneigt, das zu glauben. Sicherheitshalber drehe ich mich nach etwa zwanzig Metern nochmal um. Ja, die Spur sieht jetzt zielstrebiger aus. Ich wende mich wieder in die Richtung, in der Gitti auf mich wartet. Jetzt strebe ich ihr endlich zügig zu.
Gitti guckt derweil aufs Wasser. Sie strahlt übers ganze Gesicht und wirkt sehr zufrieden. Schräg hinter Gitti steht ein Leuchtturm. Weil wir noch weit vom Turm entfernt sind, wirkt der Leuchtturm im Vergleich zu Gitti recht klein. Noch kleiner wirkt er, als Gitti ihren Arm gen Meer reckt und den offenen Handteller nach oben dreht. Jetzt nämlich sieht es plötzlich so aus, als ob Gitti einen Miniatur-Leuchtturm auf der Hand balancierte. Wie schön! Davon muss ich dringend ein Foto machen. Ich bitte Gitti aus der Ferne, sich nicht zu bewegen. Sie weiß zwar nicht, was ich jetzt schon wieder vorhabe, macht aber geduldig mit, bis ich endlich zufrieden bin. Stolz zeige ich ihr das Ergebnis meiner bescheidenen Fotografierkünste. Ich ernte ein anerkennendes Lächeln.
Als ich wieder neben Gitti angekommen bin, erzähle ich ihr von meinen Gehübungen, also meinem Anti-Watschel-Training. Gemeinsam schauen wir in den Sand und betrachten die vielen Spuren, die hier zu sehen sind. Gitti und ich lesen die Spuren der Barfußläufer. Manche Menschen haben Plattfüße, andere einen extrem langen großen Zeh. Bei wieder anderen sieht man an der hinterlassenen Spur deutlich, was beim Abrollen des Fußes passiert oder ob sie eher zur Seite wegknicken. Gitti erzählt mir von einem Orthopädieschuhmacher, mit dem sie neulich sprach. Würde der in diese Spuren im Sand schauen, würde er vermutlich nur einen großen Haufen Arbeit sehen! Gitti ordnet die neue Erkenntnis sofort sicher ein und ruft: „Kein Wunder, dass der immer in die Berge fährt!“
Ein sehr schöne Aufnahme vom Leuchtturm in Gittis Handteller 👍🏻🥰, und danke für den spannenden Spaziergang durch die Fußspuren im Sand!
Eine Achtsamkeit im Außen trainiert die korrekte Wahrnehmung und kann zu einer tiefen Entspannung führen.